Zeichen des Gedenkens: Thüringen erinnert an 17. Juni 1953
Mit Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen und Führungen auf den Spuren des 17. Juni 1953 ist am Wochenende in Thüringen an den 70. Jahrestag des Volksaufstands in der DDR und dessen Niederschlagung erinnert worden. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung des Freistaates am Samstag in Jena legten Vertreter von Landtag und Landesregierung am Denkmal für die politisch Verfolgten in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR Kränze nieder.
Zuvor wurde im Stadtteil Lobeda eine Gedenktafel für den Arbeiter Alfred Diener enthüllt. Der damals 26-Jährige hatte sich vor 70 Jahren in der Universitäts- und Industriestadt an den Protesten beteiligt und wurde dafür im Alter von 26 Jahren in der sowjetischen Militärkommandantur Weimar standrechtlich erschossen.
Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) sagte anlässlich des Jahrestags, Diener und die anderen Opfer erinnerten daran, dass Demokratie nicht selbstverständlich sei, sondern täglich neu verteidigt werden müsse. Sie würdigte den Aufstand vom 17. Juni 1953 als einen frühen Vorboten der friedlichen Revolution der DDR 1989.
Jena war bei den Ereignissen vor 70 Jahren eines der Zentren in Thüringen, etwa 20 000 Menschen protestierten dort gegen die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) und ihre Politik. Nach Angaben des Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Peter Wurschi, begehrten in rund 100 Thüringer Orten - Städten wie Dörfern - Menschen gegen die Machthaber auf. An der Kranzniederlegung am Samstag in Jena nahmen Wurschi zufolge etwa 100 Menschen teil, an einem Gedenkakt im Rathaus etwa 200. Auch in Erfurt und in den Grenzlandmuseen Eichsfeld und Schifflersgrund wurde der Ereignisse von 1953 gedacht.
Am 17. Juni 1953 hatten in der gesamten DDR etwa eine Million Menschen gegen höhere Arbeitsnormen, aber auch gegen die Sozialistische Einheitspartei SED und die deutsche Teilung, für freie Wahlen und mehr Wohlstand demonstriert. Die sowjetische Besatzungsmacht, die DDR-Volkspolizei und die Staatssicherheit stoppten die Proteste. Mindestens 55 Menschen wurden getötet, mehr als 10 000 verhaftet.
Mit Blick auf zwei AfD-Veranstaltungen am Gedenktag in Gera und Mödlareuth warf Innenminister Georg Maier der AfD vor, diesen für eigene Zwecke zu nutzen. Bei dem Volksaufstand vor 70 Jahren hätten sich Menschen gegen ein autoritäres Regime aufgelehnt, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. «Jetzt will ausgerechnet die AfD diesen Tag kapern für sich, obwohl in ihrer Ideologie ein autoritäres Staatsverständnis angelegt ist», sagte Maier, der in Thüringen auch SPD-Chef ist. Das sei nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern auch eine perfide Strategie.
Thüringens AfD-Parteichef Björn Höcke hatte sich am Samstag bei Auftritten in Gera und dem einst geteilten Ort Mödlareuth an der thüringisch-bayerischen Landesgrenze auf die Widerständler vom 17. Juni 1953 berufen. «Wir müssen auf der Hut sein, wir müssen wachsam sein - auch das ist die Botschaft der Helden von 1953», sagte Höcke in Gera vor laut Polizei etwa 250 Menschen.
Zuvor hatte er die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik in Zweifel gezogen. Er verwies in Gera zur Begründung unter anderem auf die Corona-Politik der vergangenen Jahre. «Deshalb muss man eben feststellen, dass die Bundesrepublik Deutschland kein voll entwickelter Rechtsstaat mehr ist, sondern ein Gesinnungsstaat», sagte Höcke vor laut Polizei bis zu 250 Menschen. Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit seien «so bedroht wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland». In Mödlareuth sagte er, für ihn sei der 17. Juni der «deutsche Nationalfeiertag der Herzen».
Maier sagte, die AfD fahre seiner Meinung nach eine zweigleisige Strategie: «Sie sägen an Brückenpfeilern unserer Demokratie und kapern andere.» Die AfD versuche, Symbole der Demokratie wie den 17. Juni oder die Farben der Bundesflagge für sich zu vereinnahmen, um in weitere Wählerschichten vorzudringen. «Gleichzeitig demontiert sie andere Grundpfeiler unserer Demokratie - zum Beispiel, dass der Holocaust ein unvergleichliches Menschheitsverbrechen ist.» Der Thüringer AfD-Landesverband wird vom Landesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
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