Thüringen verliert Tempo beim Wirtschaftswachstum
Thüringens Wirtschaft ist in der ersten Jahreshälfte angesichts von Lieferketten-Probleme und Energiepreissorgen vergleichsweise schwach gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei zum Vorjahreszeitraum real um 1,9 Prozent gestiegen, teilte das Statistische Landesamt am Freitag in Erfurt unter Verweis auf vorläufige Berechnungen mit. Das Wachstum fiel im Freistaat damit deutlich geringer aus als im Bundesdurchschnitt mit real 2,8 Prozent sowie in allen anderen ostdeutschen Bundesländern.
Nach den Zahlen des Landesamts stieg die Wirtschaftsleistung in Sachsen real um 3,0 Prozent, in Sachsen-Anhalt um 4,5 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern auch dank einer starken Tourismuswirtschaft um 5,2 Prozent. Thüringen landete unter den Bundesländern beim BIP im letzten Drittel - schwächer fiel das Wirtschaftswachstum nur in Baden-Württemberg mit 1,8 Prozent, Schleswig-Holstein mit 1,6 Prozent und Niedersachsen mit 1,1 Prozent aus. Das Bruttoinlandsprodukt stellt den Marktwert aller in Thüringen für den Endverbrauch hergestellten Waren und Dienstleistungen dar.
Der Thüringer Wert sei solide, Thüringen müsse sich damit nicht verstecken, sage ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage. Die Gründe für das etwas schlechtere Abschneiden gegenüber anderen Bundesländern seien statistisch noch nicht im Detail analysiert. Ein Grund sei sicherlich, dass der Industrieumsatz preisbereinigt zurückgegangen sei.
Zudem hätten auch Baugewerbe und die Bereiche Handel, Verkehr und Gastgewerbe im ersten Halbjahr nicht so stark zur Wirtschaftsentwicklung beigetragen wie in früheren Jahren. Eine ständigte Herausforderung sei die demografische Entwicklung in Thüringen, die dazu führe, dass offene Stellen nicht schnell genug besetzt oder Investitionspläne nicht im geplanten Umfang umgesetzt werden könnten. «Das ist aber ein Thema, das nicht allein wirtschaftspolitisch gelöst werden kann».
Die Thüringer Industrie hatte im ersten Halbjahr unter Abzug der Preissteigerungen ihre Rolle als Konjunkturmotor verloren. Kräftig eingebrochen war die Automobil- und Zulieferindustrie, die in den vergangenen Jahren das Umsatzschwergewicht in der Industrie war. Insgesamt summierte sich der Umsatz der Industrie im ersten Halbjahr auf 18,4 Milliarden Euro - preisbereinigt und damit real berechneten die Statistiker ein leichtes Minus von 0,5 Prozent.
Nach Einschätzung von Ökonomen stehen der deutschen Wirtschaft angesichts der Gaskrise harte Monate bevor. Dem Ifo-Institut zufolge wird der private Konsum wegen der steigenden Verbraucherpreise im weiteren Jahresverlauf als Konjunkturmotor ausfallen. Die Deutsche Bundesbank hält eine sinkende Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr inzwischen für «deutlich wahrscheinlicher».
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