Politische Tätigkeit: Vereine fürchten um Gemeinnützigkeit
Mehr als 100 Vereine und Sozialverbände sehen ihre Arbeit wegen einer fehlenden Gesetzesreform gefährdet. In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisierten sie, dass das Gemeinnützigkeitsrecht das Engagement und die Arbeit der Vereine behindere. «Wir bekommen Briefe vom Finanzamt, die die Gemeinnützigkeit anzweifeln, weil wir Demonstrationen organisiert haben», heißt es unter anderem in dem Brief. Ohne den gemeinnützigen Status stehe die Existenz der Vereine auf dem Spiel.
Unterzeichnet wurde der Brief von mehr als 100 Vereinen und Sozialverbänden vor allem aus ostdeutschen Bundesländern. Mehrere Regionalverbände der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Sachsen-Anhalt sind dabei, sowie der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, das Kulturbüro Sachsen in Dresden und das Solidarische Gesundheitszentrum Jena.
Die Bundesregierung habe es versäumt, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren, so wie es im Koalitionsvertrag versprochen worden sei, heißt es in dem Brief. Dort hatte die Ampel-Koalition angekündigt, Gemeinnützigkeitszwecke zu konkretisieren, um Unsicherheiten entgegenzuwirken. Die Vereine kritisieren, dass nur eine zügige Reform verhindern könne, dass in den nächsten Monaten immer mehr Vereine Probleme bekämen.
Der Streit geht schon mehr als zehn Jahre zurück, als dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Der Bundesfinanzhof hatte dabei Anfang 2019 festgestellt, dass die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im eigenen Sinne nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig ist. Daraufhin hatte der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz eine Gesetzesreform angekündigt.
Der Streit hat auch die Bundespolitik erreicht. Linken-Chefin Janine Wissler forderte die Bundesregierung auf, mit einem geänderten Recht zur Gemeinnützigkeit das politische Engagement von Vereinen zu schützen. «Diese Vereine werden von lokalen Vertretern der AfD bei Finanzämtern angeschwärzt, wenn sie etwa eine Demonstration gegen Rechtsextremismus anmelden», warnte Wissler. Dabei leisteten diese Organisationen ungemein wichtige Arbeit, gerade im ländlichen Ostdeutschland. Sie seien «direkte Gegenspieler von AfD und organisierten Nazis, die dort die Räume besetzen, aus denen der Staat sich längst zurückgezogen hat».
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