Nicht nur eine Stippvisite: Steinmeier drei Tage zu Gast
Morgens engagierte Ehrenamtler, mittags die Rentner am Bratwurststand, nachmittags Corona-Skeptiker: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Auftakt seiner zweiten Amtszeit am Samstag den intensiven Austausch mit Bürgern gesucht. Bis Sonntag verlegte das Staatsoberhaupt dafür seinen Amtssitz offiziell nach Altenburg in Ostthüringen. «Das soll keine Stippvisite sein, wir wollen ein bisschen spüren, wie das Leben in Altenburg ist», sagte Steinmeier.
Der Gedanke, wieder stärker mit den Menschen außerhalb Berlins ins Gespräch zu kommen und Misstrauen gegen die Politik abzubauen, bewegt Steinmeier schon länger. Besorgt ist er über unversöhnliche Kritik, ja Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker. Nach zwei Jahren Pandemie und nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine will er dem Land «den Puls fühlen». Dafür probierte er in Altenburg erstmals das neue Format «Ortszeit Deutschland» aus - ein mehrtägiger Besuch mit Zeit für ausführliche Gespräche und Besichtigungen.
Steinmeier kam bereits am Freitag - dem letzten Tag seiner ersten Amtszeit - mit dem Zug nach Altenburg und ließ in seinem Hotel die Standarte des Bundespräsidenten aufziehen. Abends ging er in die Theaterkneipe «Kulisse», um dort mit Gästen zu sprechen. Am Samstag - dem offiziellen Beginn von Amtszeit zwei - ging es im dichten Takt weiter.
Morgens empfing der Präsident Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich engagieren. Darunter waren eine Zuwanderin aus Georgien, die Leiterin eines Kunstprojekts, der Organisator des Altenburger «Skatstadt»-Marathons, ein Unternehmer, der Fußballvereine sponsert, und die Vorsitzende der Landfrauen, die in Altenburg das traditionelle Gewürz Safran anbaut. «Altenburg wird auch Safranstadt», sagte die Unternehmerin Andrea Wagner. «Ich bin schwer beeindruckt», meinte Steinmeier.
Anschließend ging der 66-Jährige zu Fuß durch die Kleinstadt mit rund 32.000 Einwohnern und machte kleine Abstecher in Läden - zum Messerschleifer, zum Buchhändler, zum Schildermacher, zum Chocolatier. Von Skepsis war nichts zu spüren. Dutzende Altenburger wollten Selfies und Fotos mit dem Präsidenten. «Herr Bundespräsident, ich finde das toll», sagte eine ältere Frau. Ein ehemaliger Lehrer bat ihn, sich für eine Hochschule in Altenburg einzusetzen, zwei Menschen mit Hörbehinderung sprachen ihn mit ihren Anliegen an. «Die Frage nehme ich gerne mit», sagte Steinmeier.
Altenburg war zuletzt unter anderem wegen regelmäßiger sogenannter Spaziergänge von Kritikern der Corona-Maßnahmen in den Schlagzeilen. Oberbürgermeister André Neumann (CDU) hatte bei einer Veranstaltung des Bundespräsidenten im Januar von E-Mails mit Drohungen gegen sich und seine Familie berichtet.
Zu einer «Kaffeetafel kontrovers» lud Steinmeier deshalb unter anderen Madeleine Winterling ein, die «Spaziergänge» mit organisiert hat. Grund war nach ihren Worten, dass Kinder unter dem Tragen von Masken litten. Sie habe Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) Protestbriefe übergeben, doch habe dies nichts bewegt, sagte Winterling. Über die Demonstrationen sagte sie: «Das ist unsere Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu kriegen.» Sie wolle dafür nicht «in eine rechte Ecke» gestellt werden.
Steinmeier hielt dagegen. «Als Fernsehzuschauer hat man ein Bild von diesen Spaziergängen», sagte der Präsident. Wichtig sei ihm, dass kein Klima entstehe, wo Menschen Angst haben müssten, ein Amt zu übernehmen. Das tue der Demokratie nicht gut. Gleichwohl war die Stimmung versöhnlich und Steinmeier schloss die Diskussion mit den Worten, er habe sich ja einen tieferen Einblick gewünscht. «Den haben ich in der Tat bekommen an diesem Tisch.»
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