Nach Corona-Entscheidung: Schwere Vorwürfe gegen Richter
Während der Corona-Pandemie hatte der Richter verfügt, dass Schüler an zwei Schulen in Weimar keine Masken im Unterricht tragen mussten. Nun steht er selbst vor Gericht. Zum Prozessauftakt warf die Staatsanwaltschaft Erfurt dem Mann vor, gezielt einen Beschluss gegen Corona-Maßnahmen beabsichtigt zu haben. Der Jurist habe schon mehrere Wochen vor seiner inzwischen aufgehobenen Entscheidung gegen die Maskenpflicht nach Kindern gesucht, für die er entsprechende Verfahren führen könne, sagte eine Staatsanwältin am Donnerstag bei der Verlesung der Anklage vor dem Landgericht Erfurt.
Dazu habe der Mann Kurznachrichten an Kontaktpersonen in seinem Umfeld verschickt. Darin habe er unter anderem gefragt, ob jemand Familien kenne, die sich gegen die Maskenpflicht «wehren» wollten.
Seit mindestens Februar 2021 habe der Familienrichter versucht, ein Verfahren «zu generieren», mit dem er gegen die Maskenpflicht sowie auch gegen Corona-PCR- und -Schnelltests habe vorgehen wollen, sagte die Staatsanwältin. Zudem habe er sogar selbst an dem Schreiben mitgearbeitet, mit dem eine Mutter schließlich für ihre zwei Kinder bei ihm gegen die Maskenpflicht vorgegangen war. Kurz bevor das entsprechende Schreiben beim Amtsgericht Weimar eingeworfen wurde, habe der Mann selbst die Bezüge auf die geltende Corona-Verordnung des Freistaats Thüringen aktualisiert.
Der Richter habe sich durch sein Verhalten «bewusst und in schwerwiegende Weise von Recht und Gesetz» entfernt, sagte die Staatsanwältin. Er habe unbedingt einen Beschluss gegen Corona-Schutzmaßnahmen fassen wollen. Um das Wohl der beiden Kinder, für die er schließlich formal Verfahren wegen des Verdachts auf Kindeswohlgefährdung geführt hatte, sei es ihm nie gegangen.
Im April 2021 hatte der Familienrichter des Amtsgerichts Weimar in einem von ihm verfassten Beschluss verfügt, dass Kinder an zwei Schulen in Weimar entgegen dem damals geltenden Hygienekonzept des Bildungsministeriums keine Corona-Masken im Unterricht tragen müssten. Er hatte diese Anordnung nicht nur für die beiden Kinder der Mutter erlassen, die ihn schließlich - jedenfalls formal - angeschrieben hatte. Er hatte seinen Beschluss auf alle Kinder dieser beiden Schulen bezogen. Der Beschluss war bundesweit von den Gegnern der damals geltenden Corona-Schutzmaßnahmen gefeiert worden.
Die Entscheidung des Familienrichters ist durch Folgeinstanzen inzwischen aufgehoben worden. Der Jurist habe gar keine Zuständigkeit für die ihm vorgelegte Frage gehabt, entschied zum Beispiel das Thüringer Oberlandesgericht. Die gerichtliche Kontrolle von staatlichen Anordnungen zu Corona-Schutzmaßnahmen obliege «allein den Verwaltungsgerichten». Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung inzwischen bestätigt.
Der Familienrichter bestritt zum Prozessbeginn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Die Behörde habe in ihrer Anklage zahlreiche unzutreffende Behauptungen aufgestellt, sagte er. «Das stellt nach meiner Meinung die Rechtslage geradezu auf den Kopf.»
Einerseits habe er das Verfahren, das seinem Beschluss zugrunde lag, nicht generiert, erklärte der 60-Jährige in einer langen Ausführung vor Gericht. Selbst wenn er das getan hätte, sei er als Familienrichter andererseits durchaus dazu berechtigt. Verfahren auf Kindeswohlgefährdung würden immer von Amts wegen eingeleitet.
In seinen Einlassungen bestätigte der Mann mehrfach, dass er schon damals Kontakte zu anderen Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen hatte. So habe er Anfang 2021 an einigen sogenannten Spaziergängen solcher Gruppen teilgenommen, sagte er. Im Gerichtssaal waren zahlreiche Menschen vertreten, die sich als Unterstützer des Familienrichters zu erkennen gaben.
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