Auf der Motorhaube eines Streifenwagens steht der Schriftzug «Polizei»., © David Inderlied/dpa/Illustration
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Mord und Totschlag in der Ehe: Mehrere tödliche Fälle

14.11.2022

Wenn aus Liebe Hass wird: Vier Frauen und ein Mann sind im vergangenen Jahr in Thüringen mutmaßlich von ihren Ehepartnern getötet worden. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Astrid Rothe-Beinlich und Madeleine Henfling hervor. Drei weitere Männer wurden mutmaßlich von ihren Partnerinnen getötet, mit denen sie in nicht-ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt hatten oder deren Beziehung zuvor beendet worden war. Nun wollen Kommunen für Beratungsangebote werben.

Aus der Antwort des Innenministeriums wird allerdings auch deutlich, dass die Polizei viele Details zu Fällen familiärer Gewalt entweder gar nicht erhebt oder statistisch nicht auswerten kann. So werden keine Aussagen dazu getroffen, wie viele Kinder direkt oder indirekt Opfer derartiger Übergriffe geworden sind - etwa weil sie selbst geschlagen wurden oder mitansehen mussten, wie ein Partner den anderen attackiert. Mädchen und Jungen, die jünger als 14 Jahre sind, werden laut Ministerium in der Statistik zur familiären Gewalt nicht als Opfer erfasst oder aufgeführt.

Auch, wie viele der mutmaßlichen Täter der tödlichen Übergriffe zuvor bereits durch Gewalttaten auffällig geworden waren, kann das Ministerium nicht sagen. «Der Landesregierung liegen keine statistischen Angaben im Sinne der Fragestellung vor», hieß es dazu in dem Antwortschreiben. Henfling kritisierte, dass die offenkundigen Wissenslücken der Polizei nicht nachvollziehbar seien. Das sei umso schockierender, weil derartiges Wissen möglicherweise helfen könnte, den Tod von Menschen zu verhindern.

Aus soziologischen Studien wie aus Erfahrungen etwa von Opferberatern sei bekannt, dass bei Gewalt in der Familie vor einem Mord oder einem Totschlag oft zunächst andere Gewalttaten verübt würden. «Bis es zu einem Mord kommt, passiert in der Regel ganz viel», sagte Henfling. Wenn die Polizei also beispielsweise wisse, dass bestimmte Täter bereits länger übergriffig seien, könne rechtzeitig interveniert werden.

Doch nicht nur bei der Polizei gebe es offenkundig ein großes Defizit beim Umgang mit häuslicher Gewalt. «Ich glaube, dass die Brisanz des Themas in der gesamten Landesregierung nicht erkannt wird», sagte Henfling. Weder sei der Schutz von Kindern vor Gewalt in der Familie in den vergangenen Jahren besser geworden, noch gebe es ausreichend Plätze in Thüringer Frauenhäusern. «Da sind wir ziemlich blank.»

Laut dem Innenministerium registrierte die Polizei im vergangenen Jahr etwa 3500 Fälle von familiärer Gewalt. Etwa 2400 der Opfer waren Frauen. Als mutmaßliche Täter wurden etwa 2650 Männer registriert. Weil die Polizei seit 2021 ihr Erfassungssystem zu diesen Straftaten verändert hat, sind Vergleiche mit den Vorjahren nach Angaben des Ministeriums nicht möglich.

Erst am Freitag war eine 49 Jahre alte Frau im Kreis Schmalkalden-Meiningen bei einer laut Polizei «schwerwiegenden Auseinandersetzung im familiären Bereich» von ihrem getrennt lebenden Mann mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt worden. Die Frau wurde notoperiert und ist laut Polizei außer Lebensgefahr. Die Polizei stellte den flüchtigen Täter eineinhalb Stunden später an seinem Wohnort in Schmalkalden. Gegen den 57-Jährigen wurde Haftbefehl erlassen, er sitzt in Untersuchungshaft. Der Angriff auf die Frau hatte sich laut Polizei in einem Büroraum in einem Ortsteil von Floh-Seligenthal ereignet.

In den vergangenen zwei Jahren ist auch wissenschaftlich kontrovers diskutiert worden, ob die Lockdowns während der ersten Phase der Corona-Pandemie zu mehr häuslicher Gewalt in Deutschland geführt haben - unter anderem deswegen, weil Betroffene durch die verordneten Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens weniger Möglichkeiten hatten, sich außerhalb ihrer Wohnung zu bewegen.

Mit einer zehntägigen Informationskampagne wollen 18 Kommunen in Thüringen von diesem Dienstag an auf regionale Hilfs- und Beratungsangebote zum Schutz vor häuslicher Gewalt aufmerksam machen. Eie Aktion steht im Zusammenhang mit dem internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November.

© dpa-infocom, dpa:221114-99-509412/3

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