Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen) erklärt ihren Rücktritt., © Michael Reichel/dpa
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Mit «innerlicher Unruhe»: Siegesmund will neue Wege gehen

23.12.2022

Sie galt als ehrgeizig, streitbar und machtbewusst, doch nun will sie «neue Wege gehen»: Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund hat überraschend ihren Rückzug aus der Politik angekündigt. «Ich habe aus persönlichen Gründen entschieden, am 31. Januar 2023 meine Ämter niederzulegen und geordnet in neue Hände zu übergeben», sagte Siegesmund am Freitag in Erfurt. Neben der Leitung des Umweltministeriums legt sie auch ihre Ämter als stellvertretende Ministerpräsidentin und Mitglied des Bundesrates nieder. Die Entscheidung kam ohne Vorwarnung und überraschte. Ende Januar 2023 soll Schluss sein, ein Nachfolger wurde noch nicht bekannt gegeben.

Innerhalb der rot-rot-grünen Koalition hatte Siegesmund den Ruf einer harten Verhandlerin und ehrgeizigen Ministerin. Den Etat für ihr Umweltministerium - das kleinste Ressort in Thüringen - hatte sie seit ihrem Amtsantritt 2014 verdoppelt, wie sie nun am vorläufigen Ende ihrer politischen Karriere noch einmal betonte. «Ich gehe auf der Höhe der Zeit», sagte sie. Der neue Haushalt für das Jahr 2023 biete Stabilität. Nach eigenen Angaben wartete sie mit der Bekanntgabe ihres Rücktritts bis zur Verabschiedung des Landesetats, der am späten Donnerstagabend das Parlament passierte. Dies sei nun ein «Momentum», wie sie sagte. Die Entscheidung sei aber bereits in den vergangenen Wochen gereift.

Mit Siegesmund verabschiedet sich die wohl bekannteste Politikerin der Thüringer Grünen. Die studierte Politikwissenschaftlerin und Germanistin ist über die heutige Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt in die Politik gekommen. Von 2003 bis 2008 war Siegesmund deren Referentin im Erfurter Wahlkreisbüro. Seit 2009 war die Vertreterin des Realo-Flügels im Thüringer Landtag aktiv, wo sie nach dem Wiedereinzug der Grünen die neue Fraktion aufbaute und diese auch anführte. 2014 und 2019 trat sie als Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Thüringen an.

Den Einzug in den Landtag schaffte ihre Partei bei der vergangenen Wahl trotz zwischenzeitlicher Umfrage-Höhenflüge der Grünen im Bund nur knapp - sie erreichte damals 5,2 Prozent.

Siegesmund, die verheiratet ist und drei Kinder hat, sagte nun: «Zur Politik gehört der Wechsel und ich strebe eine erneute Spitzenkandidatur 2024 nach reiflicher Überlegung nicht an.» Sie wolle daher das für die Grünen zentrale Umweltressort zur Verfügung stellen. In einem Brief an die Thüringer Grünen-Mitglieder schrieb sie, sie vertraue darauf, dass es dem Grünen-Landesvorstand nun gelinge, eine geeignete Nachfolge zu finden, «die sich jetzt profilieren und eine starke grüne Stimme sein kann.»

Siegesmund kündigte an, sich neu zu orientieren. Sie wolle nun «neue Wege gehen, eine Auszeit nehmen, bevor ich beruflich einen Neuanfang mache», schrieb sie. Jetzt freue sie sich auf mehr Zeit mit ihrer Familie. «Ich bin aber sozusagen mit innerlicher Unruhe und Tatenskraft bereit für neue Aufgaben», sagte sie.

Politik sei das Bohren dicker Bretter. «Mein Tempo passte zuletzt mit dem, was in einer Minderheitskoalition möglich ist, aber eigentlich nötig wäre, nicht mehr wirklich zusammen», sagte sie. Zugleich betonte sie, dass persönliche Gründe ausschlaggebend für ihre Entscheidung gewesen seien. «Es hat weniger mit der Minderheitskoalition zu tun als vielmehr mit, würde ich sagen, einem eigenen Erkenntnisprozess.»

In der laufenden Legislaturperiode fehlen der Koalition aus Linken, SPD und Grünen im Parlament vier Stimmen für Mehrheiten. Um Gesetze zu verabschieden oder zu ändern, braucht die Koalition Stimmen aus der Opposition, die meist von der CDU kommen.

Die Verhandlungen dazu gelten aber als langwierig und äußerst kompliziert. Auch gibt es jedes Jahr erneut erbitterte politische Kämpfe um die Aufstellung eines Haushaltes für das 2,1-Millionen-Einwohner-Bundesland. «Es ist nur ein sehr langsamer Prozess und jeder muss mit dem Tempo seiner Arbeit zurechtkommen. Mir persönlich, nur mir persönlich, ist einfach klar geworden, dass mit dem geringeren Tempo so nur schwer zurechtkomme», sagte Siegesmund.

© dpa-infocom, dpa:221223-99-02912/3

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