Bei einer Razzia gegen «Reichsbürger» führen Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug., © Boris Roessler/dpa
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Maier: «Reichsbürger»-Szene wächst rasant

08.12.2022

Nach dem bundesweiten Schlag gegen die «Reichsbürger»-Szene rechnet Thüringens Innenminister Georg Maier mit weiteren Ermittlungen und Durchsuchungen. «Die Razzien richten sich konkret gegen eine Gruppe, aber es wird noch mehr geben. Denn die «Reichsbürger»-Szene wächst rasant, das haben wir in den vergangenen Jahren ganz klar gesehen», sagte der SPD-Politiker dem «Stern». Allein im Freistaat gebe es Hunderte sogenannte Reichsbürger.

Auch Sicherheitsbehörden rechnen mit weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen. Bei den Ermittlungen wird auch geschaut, ob die Beschuldigten noch weitere Waffen versteckt haben. 23 der 25 Festgenommenen seien inzwischen in Untersuchungshaft, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft am Donnerstag. Wann die beiden im Ausland gefassten Männer den Ermittlungsrichtern vorgeführt werden, war zunächst unklar.

Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch bei einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System stürzen wollte. Bei den drei anderen geht es um Unterstützung. Bis auf eine Russin haben den Angaben zufolge alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Bundesanwaltschaft sprach zudem von 27 weiteren Beschuldigten.

Mit Blick auf die «Reichsbürger»-Szene sagte Maier dem «Stern»: «Gefährlich sind diese Menschen auch deswegen, weil die klassische Reichsbürgerszene nicht mehr unter sich bleibt. Sie vernetzt sich mit anderen Gruppierungen, insbesondere mit der AfD, mit anderen rechtsextremistischen Gruppen und mit der Querdenkerszene.» Im Deutschlandfunk warf er der AfD vor, Verschwörungsmythen zu verbreiten. «Die AfD hat sich immer weiter radikalisiert.» Letztendlich fungiere sie wie eine Organisationszentrale, eine Schnittstelle für die Vernetzung von rechtsextremen Organisationen. «Und das ist das, was diese Partei immer gefährlicher macht.»

Der Thüringer AfD-Innenpolitiker Ringo Mühlmann wies die Vorwürfe zurück. «Jeder einzelne Abgeordnete der AfD-Fraktion steht uneingeschränkt gegen jede Art von Extremismus und gegen Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung», erklärte er. Umsturzversuche, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdeten, seien daher aufzuklären und das Vorgehen der Sicherheitsbehörden werde auch von seiner Fraktion begrüßt. Maier könne seine Behauptungen nicht belegen.

Die beiden Vorsitzenden des Thüringer Linke-Landesverbandes, Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft, warnten vor den Gefahren des Rechtsextremismus. «Wieder einmal konnte ein bewaffnetes, rechtes Terrornetzwerk entstehen», erklärte Grosse-Röthig. Wer linke Gruppen, Antifaschisten und Klimaaktivisten mit Rechtsextremen gleichsetze, verkenne den Ernst der Lage. Schaft kritisierte Kürzungspläne von CDU und AfD bei Demokratie-Programmen. «Die erneute Gefahr des Schulterschlusses zwischen konservativer CDU und extrem rechter AfD liegt hier in Form von konkreten Haushaltsanträgen auf dem Tisch», sagte er.

Als mutmaßlicher Rädelsführer des am Mittwoch ausgehobenen «Reichsbürger»-Netzwerkes gilt der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen, der in Bad Lobenstein ein Jagdschloss besitzt. Auch er kam in Untersuchungshaft. Die Privilegierte Schützengesellschaft Gera schloss ihn nach Bekanntwerden der Vorwürfe aus ihrem Verein aus. «Wir haben den Prinzen aufgrund unserer Demokratieklausel ausgeschlossen, weil wir keine Tendenzen unterstützen, die unsere demokratische Gesellschaft angreifen», sagte Andreas Kinder, Pressesprecher der Schützengesellschaft und Ostthüringer CDU-Politiker. Zuvor hatte die «Ostthüringer Zeitung» darüber berichtet.

Kinders Angaben zufolge war Heinrich XIII. Prinz Reuß seit der Gründung des Vereins 1990 Mitglied. Es gebe aus historischen Gründen eine traditionelle Verbindung seiner Familie zu dem Verein. Nach dem Vorfall in Bad Lobenstein sei Reuß aber nicht mehr zu Veranstaltungen vom Verein offiziell eingeladen worden.

Der Hauschef des ehemaligen ostthüringer Herrscherhauses, Heinrich XIV. Fürst Reuß, zeigte sich in einem Interview mit dem MDR schockiert über die Vorwürfe gegen seinen Verwandten. Er habe es aus den Nachrichten erfahren und sei «äußerst schockiert». «Das färbt natürlich katastrophal auf die Familie ab», sagte Reuß. Man sei 850 Jahre lang ein «tolerantes, weltoffenes Fürstenhaus in Ostthüringen» gewesen. Reuß betonte, er habe sich bereits im August von den weltanschaulichen Äußerungen des «sehr weit entfernten Familienmitgliedes» distanziert. Dieser sei nur eine «Randfigur» innerhalb der Familie.

© dpa-infocom, dpa:221208-99-827626/3

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