Linksextremismus-Prozess: Kronzeuge schildert Werdegang
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Linksextremismus-Prozess: Kronzeuge schildert Werdegang

04.08.2022

Der Kronzeuge im Dresdner Prozess um Überfälle mutmaßlicher Linksextremer auf Neonazis hat geschildert, wie er zu seinen politischen Überzeugungen gelangte. Schon in der Schulzeit sei sein Interesse an Politik und Geschichte geweckt worden, sagte er am Donnerstag den Richtern am Oberlandesgericht (OLG). Er habe in der Gesellschaft Handlungsbedarf gesehen und sich seit 2008 politisch betätigt - vom Aufbau einer «Dorf-Antifa» bis hin zur Teilnahme an Demonstrationen. «Militante Politik» habe er als legitimes Mittel gesehen. Es sei darum gegangen, strafbare Handlungen wie Sachbeschädigungen zur Durchsetzung eigener politischer Interessen zu unternehmen. Im Rückblick könne er aber nicht erkennen, damit etwas geändert zu haben. Auch eine gewisse «Erlebnisorientiertheit» habe als Motiv eine Rolle gespielt.

In dem Prozess stehen die aus Kassel stammende Studentin Lina E. sowie drei Männer aus Leipzig und Berlin vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen 2018 und 2020 Angehörige der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach attackiert und zusammengeschlagen zu haben. Zudem sind die vier Beschuldigten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt, als deren Anführerin Lina E. gesehen wird. Die 27-Jährige sitzt in Untersuchungshaft, die drei Mitangeklagten im Alter von 27 und 36 Jahren sind auf freiem Fuß. Sie schwiegen bisher zu den Vorwürfen.

Die Verteidigung wirft der damals mit den Ermittlungen beauftragten Sonderkommission Linksextremismus im Landeskriminalamt Sachsen vor, «aus einer Anzahl von Körperverletzungshandlungen eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren» und spricht von einem «politisierten Verfahren».

Der Kronzeuge war nach eigenen Angaben als «Scout» im Einsatz. Dabei fuhr er per Zug quasi als Kundschafter zu Demonstrationen der rechtsextremen Szene und lieferte seinen Mitstreitern Informationen, an welchen Bahnhöfen Rechtsextreme zugestiegen waren. Bei deren Rückreise sollte dann vor Ort ein «Zugriff» erfolgen, also eine Attacke auf den politischen Gegner. Auch bei einem der im Prozess angeklagten Fälle - einem Überfall auf einen rechten Szene-Wirt in Eisenach - hatte er mitgewirkt und das Opfer ausgespäht. Seit er sich den Sicherheitsbehörden offenbarte und als Kronzeuge anbot, gilt er in der linksextremen Szene als Verräter. Wegen einer möglichen Bedrohung wird er im Hochsicherheitssaal des OlG Dresden zusätzlich von mehreren Beamten beschützt.

© dpa-infocom, dpa:220804-99-272406/2

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