Keine Windkraftwerke im ersten Halbjahr
Der Ausbau der Windenergie in Thüringen kommt nicht voran: Im ersten Halbjahr wurde im Freistaat keine einzige Windkraftanlage neu installiert, wie aus einer Auswertung hervorgeht, die das Beratungsunternehmen Deutsche Windguard hervorgeht, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Ähnlich sieht es in den Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg sowie im Nachbarbundesland Sachsen aus. In den Städten sind Flächen meist rar. In Sachsen war der Netto-Zubau von Leistung durch Windkraftanlagen sogar negativ, weil drei Windenergieanlagen zurückgebaut wurden. Der Bundesverband Windenergie und der Industrieverbands VDMA hatten die Auswertung in Auftrag gegeben.
Thüringens Umweltminister Bernhard Stengele (Grüne) sagte, die Zahlen wirkten «ernüchternd». «Aber es sind 100 neue Anlagen beantragt, seit Monatsbeginn sind auch die ersten drei Windräder des Jahres in Betrieb.» Als Ursache nannte er fehlende ausgewiesene Flächen für Windräder. «Hier appelliere ich an die Kommunen, ihre Regionalpläne schnell auf den Weg zu bringen, um der bundesgesetzlichen Vorgabe zu genügen», so Stengele. Unternehmen wollten saubere und kalkulierbare Energie. «Die Windenergie ist Standortvoraussetzung für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Verfehlt Thüringen sein Flächenziel, sind ab 2032 Windräder grundsätzlich auch ohne Vorranggebiete möglich», warnte der Minister. Kommunen sollten daher jetzt den Spielraum nutzen.
Der CDU-Energiepolitiker Thomas Gottweiss sprach von einer «Bankrotterklärung der Landesregierung». «Wir haben Energiekrise. Die Thüringer Unternehmen brauchen dringend neue Anlagen und die Landesregierung unternimmt nichts, um das zu ermöglichen», sagte er. Die Thüringer CDU hatte sich im Landtagswahlkampf 2019 strikt gegen Windkraftanlagen im Wald ausgesprochen und lehnt auch das Ziel der Bundesregierung ab, zwei Prozent der Landesfläche für Windkraftanlagen auszuweisen. In Thüringen sind derzeit nur 0,4 Prozent ausgewiesen, bis Ende 2032 will der Freistaat 2,2 Prozent schaffen. Die CDU spricht sich dagegen für nur 0,8 Prozent aus.
Gottweiss warf der Landesregierung vor, nicht genügend auf Repowering, also den Austausch älterer Windkraftanlagen gegen neue, deutlich leistungsstärkere, zu setzen. Es fehle eine entsprechende Strategie. «Das wäre ein Punkt, wo sofort eine Änderung in Sicht wäre.» Es zeige, dass Wunsch und Wirklichkeit bei den Grünen auseinander gingen. «In der Realität gibt es keinerlei Bewegung.»
Der SPD-Energiepolitiker Denny Möller beklagte, dass es angesichts einer emotional geführten Diskussion über Windkraft in Thüringen für Investoren in der Vergangenheit zu wenig Planungssicherheit gegeben habe. Die Politik der CDU sei ein «treibender Keil» gewesen, dass Flächen bisher nur zögerlich ausgewiesen wurden. «Natürlich ist das schlecht für die Energiewende und auch schlecht für Thüringen», sagte Möller. Die Windkraft wird laut Möller einer der Lastenträger sein - für regional erzeugten und damit günstigen Strom. «Entscheidend ist, dass wir als Politik in den letzten Jahren nur zögerlich zur Windkraft bekannt haben.» Das schade dem Land. Für viele Unternehmen sei die Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien ein Standortfaktor.
Im Gegensatz zu Thüringen verzeichneten andere Bundesländer laut der Auflistung teils kräftige Zuwächse: In Schleswig-Holstein wurden 125 neue Windenergieanlagen im ersten Halbjahr errichtet. Das nördlichste Bundesland ist damit Spitzenreiter in der Auswertung. Thüringens Nachbar Sachsen-Anhalt kommt auf elf neu installierte Windkraftanlagen. Das Land ist den Daten zufolge beim Repowering führend, beim Netto-Leistungszuwachs mit 37 Megawatt im Mittelfeld.
Die energiepolitische Sprecherin der Thüringer AfD-Fraktion, Nadine Hoffmann, forderte einen Stopp des Ausbaus von Windenergieanlagen. «Wenn man glaubt, dass mit einer steigenden Anzahl von Windkraftanlagen der Jahresenergieertrag um diese installierte Leistung vergrößert und Thüringen energieunabhängiger würde, gleicht das einem Kampf gegen die Physik», sagte sie. Wenn der Wind nicht wehe, sei die Energieausbeute gleich Null.
Die Bundesregierung will, dass 2030 erneuerbare Energieträger 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs abdecken. Dazu sollen Windräder etwa 115 Gigawatt an installierter Leistung beitragen. Dafür ist dem Konzept zufolge ein Zubau von 10 Gigawatt pro Jahr notwendig.
Stengele sagte, man habe die Verfahren zum Ausbau der Windenergie beschleunigt. «Alle Landratsämter und kreisfreien Städte haben zuletzt Post bekommen - verwaltungstechnisch ist das ein Erlass, der klärt: Erneuerbare Energien haben Vorrang», so der Minister.
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