Futtermangel, Autos und Mähroboter: Igel brauchen Hilfe
Wenn die Blätter von den Bäumen fallen und sich die ersten Frostnächte ankündigen, beginnt für Igel der Countdown für den langen Schlaf durch den Winter. Für die Igelauffangstationen in Thüringen bedeutet das ein erhöhtes Arbeitsaufkommen: Traditionell werden in dieser Zeit besonders viele kleine Igel abgegeben, die nicht das nötige Gewicht aufweisen, um alleine über den Winter zu kommen. «Nur mit einem Gewicht von über 600 Gramm können Igel ohne Unterbrechungen überwintern», sagt Stefanie Meißner, Leiterin der Igelhilfe Altenburg, Thüringens größter Igel-Auffangstation. Tiere mit einem geringeren Gewicht würden vermutlich verhungern.
Allein in diesem Jahr wurden bereits 168 Igel bei Stefanie Meißner aufgenommen, aktuell seien 70 Tiere in der Station. Finanziert wird das ehrenamtliche Angebot ausschließlich durch Spenden. Weil wenige Menschen diesen Full-Time-Job auf sich nehmen wollen, ist das Einzugsgebiet riesig: Aus Sachsen, Sachsen-Anhalt würden immer wieder Tiere nach Altenburg gebracht - aus einem Umkreis von bis zu 200 Kilometern. Für die Aufnahme gebe es nur eine Bedingung: «Wer einen Igel hier abgibt, muss ihn am Ende auch wieder abholen und am Fundort aussetzen», erklärt Meißner. Weil die Tiere sehr standorttreu seien, sei das unverzichtbar.
Wie viele der Stacheltiere in Thüringen aktuell überhaupt heimisch sind, ist unbekannt. Denn der in Thüringen vorkommende Braunbrustigel wird dem Umweltschutzministerium zufolge nicht kartiert. Offizielle Zählungen und Schätzungen gibt es daher nicht - allerdings wird der Igel schon seit Jahren auf der Roten Liste geführt. «Mein Eindruck ist, dass die Populationen in Thüringen weiter zurückgehen», erklärt Meißner.
Grund sei vor allem der drastische Rückgang der Insektenvielfalt - die Tiere fänden schlicht zu wenig Nahrung, um zu überleben. Penibel beschnittene Parkanlagen, Gärten und Wegränder böten sowohl dem Igel als auch seiner Futtergrundlage zu wenig Rückzugs- und Lebensraum. «Wir Menschen haben dafür gesorgt, dass Igel nichts mehr zu fressen finden. Deshalb ist es auch unsere Pflicht, sie zu unterstützen», findet Meißner.
Zu den weiteren Bedrohungen etwa durch den Straßenverkehr und Pestizide haben sich nach Beobachtungen von Tierschützern Mähroboter gesellt: «Vor allem die billigen Modelle halten nicht an, wenn sie auf ein Hindernis treffen», erzählt Meißner. Weil Igel nicht flüchteten, sondern sich zusammenrollten, habe das schwerwiegende Folgen: Vor allem im Sommer würden zunehmend erwachsene Igel angeliefert, die abgetrennte Füße, schwere Wunden an Schnauzen oder entlang des gesamten Körper aufwiesen. «Mähroboter sollten daher nur unter Aufsicht und nicht in den Abendstunden in Betrieb genommen werden.»
Auch der Igelexperte Roland Seime aus Jena hält die Situation für weiterhin schwierig: «Der heiße Sommer hat die Insektenpopulationen weiter verringert. Der Wassermangel hat den Stress für die Tiere zusätzlich verstärkt.» Seime hat in diesem Jahr bereits acht Igel wieder ausgewildert, sechs befänden sich noch in seiner Obhut.
Weil die Unterbringungsmöglichkeiten in den Auffangstationen begrenzt sind, appellieren die Experten zur Selbsthilfe - vor allem Eigenheimbesitzer hätten dafür meist genug Platz. Mindestens zwei Quadratmeter brauche jedes der Tiere, eine Gruppenhaltung sei bei den Einzelgängern nicht möglich. Doch auch die gezielte Unterstützung durch Wasser im Sommer, Katzenfutter im Herbst und Trockenfutter im Winter könne helfen, erklärt Seime. Ein «Igelhotel» aus alten Paletten und Laub sei einfach selbst zu bauen.
Deutliche Worte findet Meißner für den Trend aus den USA, afrikanische Igel als Haustiere zu halten. «Das ist einfach nur Tierquälerei.» Igel seien Wildtiere, eine artgerechte Haltung sei schlicht unmöglich - immerhin legten erwachsene männliche Igel bei der Futtersuche in einer einzigen Nacht bei der Futtersuche bis zu zehn Kilometer zurück.
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