Thomas L. Kemmerich, FDP-Landesvorsitzender und Mitglied des Landtages., © Heiko Rebsch/dpa
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FDP setzt auf Kemmerich: offen für wechselnde Mehrheiten

22.10.2023

Im Kampf um einen Wiedereinzug in den Thüringer Landtag setzt die FDP auf ihren Landeschef Thomas Kemmerich. Der 58-Jährige wurde am Samstag von einem Landesparteitag in Friedrichroda (Landkreis Gotha) per Abstimmung mehrheitlich zum Spitzenkandidaten gekürt. Vier Stimmberechtigte votierten gegen ihn, es gab eine Enthaltung. Nach Parteiangaben waren 136 Stimmberechtigte anwesend. Ein Listenparteitag ist kommendes Jahr geplant.

In seiner Rede teilte Kemmerich nicht nur gegen die Ampel-Regierung in Berlin aus, sondern verteidigte auch das Agieren der FDP-Abgeordneten im Thüringer Landtag - mit Blick auf Abstimmungen mit Hilfe der AfD. Man werde sich dafür einsetzen, dass Windkraft im Wald «nahezu unmöglich» gemacht werde, sagte Kemmerich. «Wir werden es durchziehen, und wir werden uns nicht davon abbringen lassen, dass am Ende droht, dass der Falsche zustimmt. Es geht um die Sache», machte der Unternehmer klar. Für den Gesetzentwurf wurde bereits im entsprechenden Ausschuss von der Opposition gestimmt.

Kemmerich strebt nach eigenen Worten an, mit seiner FDP in Thüringen Teil einer Koalition zusammen mit der CDU und der SPD zu werden. Allerdings hätte diese Variante, die wegen der Parteifarben als «Deutschland-Koalition» bezeichnet wird, nach den jüngsten Umfragen ebenso wenig eine Mehrheit im Parlament wie die aktuelle Minderheitskoalition aus Linke, SPD und Grünen. Die FDP kam in den jüngsten Umfragen nur auf vier Prozent.

«Wenn wir die parlamentarische Situation haben, dass eine Deutschland-Koalition die relative Mehrheit stellt, aber es für eine Mehrheit im Parlament nicht reicht, dann müssen wir uns Unterstützung aus dem Parlament holen», sagte Kemmerich der Deutschen Presse-Agentur. Es könne auch Mehrheiten durch Enthaltungen geben.

In Thüringen soll nach bisherigen Plänen am 1. September 2024 ein neuer Landtag gewählt werden. Kemmerich sagte, es wäre besser, die Extreme - in seinen Augen AfD und Linke - aus Entscheidungen herauszuhalten. Man gebe aber etwa der AfD «zu viel Macht», wenn man immer darauf schiele, wie diese agiere.

Auf die Frage, ob es für ihn in Ordnung wäre, wenn eine mögliche Minderheitsregierung aus CDU, SPD und FDP Gesetze auch mit Stimmen der AfD oder der Linken beschlösse, sagte Kemmerich: «Ja, richtig. Mit der Mehrheit des Parlaments.» Es sei auch keine komplette Zustimmung nötig, denkbar sei etwa auch, dass einzelne Abgeordnete aller im Parlament vertretenen Parteien eine Mehrheit bildeten. «Vielleicht haben wir bis dahin auch noch eine Wagenknecht-Partei im Parlament.»

Von der SPD kam eine Abfuhr. «Herr Kemmerich kann seine abstruse Idee einer nach allen Seiten offenen Minderheitskoalition gleich wieder vergessen. Mit der SPD ist das nicht zu machen», sagte Thüringens SPD-Chef Georg Maier der dpa auf Anfrage.

Kemmerich erlangte bundesweite Bekanntheit, als er sich am 5. Februar 2020 im Thüringer Landtag zum Ministerpräsidenten wählen ließ, wobei AfD-Stimmen den Ausschlag gegeben hatten. Er trat wenige Tage später nach öffentlichem Druck zurück.

Die Bundes-FDP sieht Kemmerichs geplante Spitzenkandidatur kritisch und hatte angekündigt, dass die Thüringer Parteikollegen keine finanziellen Zuwendungen aus dem bundesweiten Kampagnenfonds der FDP erhalten werden.

In seiner Rede am Samstag erntete Kemmerich auch mit Kritik an der Ampel-Regierung in Berlin, an der die FDP beteiligt ist, Applaus. «Wir erleben eine Regierung in Berlin, die in großem Maße scheitert», sagte er vor 136 Delegierten. Sie scheitere vor allem daran, die Bürger mitzunehmen.

Zudem kritisierte er vor allem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die er «unsere Annalena» nannte und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne). Baerbock reise durch die Welt und erkläre den Menschen, wie sich die Deutschen das Leben in China vorstellten. Kemmerich verwies dabei auf die Leistungen von Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher (beide FDP). «Und da muss man sich wirklich dafür schämen, dass jemand rein mit feministischer Außenpolitik versucht, auf die Krisen dieser Welt zu reagieren.»

Staatspolitische Verantwortung sei «in diesen Zeiten nicht das Retten einer Regierung», sagte Kemmerich. «Es darf auch kein Tabu sein, auch diese Ampel in Frage zu stellen.»

© dpa-infocom, dpa:231022-99-659501/3

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