Exklusives Interview mit Sahra Wagenknecht
Es ist offiziell! Sahra Wagenknecht bestätigt ihren Austritt aus der Partei die Linke und gründet ihre eigene Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht".
Wir hatten die Möglichkeit ein exklusives Interview mit der Politikerin zu führen.
Das Interview zum Nachhören:
Interview mit Sahra Wagenknecht
Petra Kühling, Nachrichtensprecherin:
Wir schauen uns mal Thüringen an und hier schon speziell auch die Situation der Linken, aus der sie ja kommen. In Thüringen ist sie erfolgreicher als in den meisten anderen Bundesländern und stellt sogar den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Muss dieser jetzt noch mehr Angst um seinen Posten haben, wenn das Bündnis Sahra Wagenknecht antritt?
Sahra Wagenknecht:
Also die Linke ist definitiv nicht unser politischer Gegner, aber gerade in Thüringen haben wir ja eben jetzt doch seit Jahren die Situation, dass es kaum eine Regierungsbildung geben kann. Und natürlich hoffen wir, wenn wir in Thüringen antreten, dass wir dazu beitragen, dass es dann auch wieder eine mehrheitsfähige, vernünftige Regierung gibt. Aber wie gesagt, das ist auch noch alles Zukunftsmusik, wir sind ja jetzt gerade erst am Start. Sicher ist, wir werden nur antreten, wenn wir wirklich auch sehr gutes Personal haben, die dann auch in der Landtagsarbeit kompetent leisten können.
Petra Kühling:
Sie haben eben gesagt: "Nnur wenn Sie in Thüringen antreten." Das steht also noch gar nicht fest?
Sahra Wagenknecht:
Also zunächst mal steht nur fest, dass wir zur Europawahl antreten. Aber wir streben natürlich schon einen Antritt bei den Landtagswahlen an, das betrifft Thüringen, Sachsen und Brandenburg, weil selbstverständlich die Menschen das ja auch erwarten. Also in Europa werden wir sicherlich auch das ein oder andere bewegen können, aber natürlich geht es ja vor allem darum, die Lebensverhältnisse der Menschen hier im Land zu verändern, dafür sind die Landtagswahlen sehr, sehr wichtig, und ich spüre ja auch bei der Resonanz, die ich bekomme, da ist sehr, sehr viel auch von Thüringerinnen und Thüringern, die mir schreiben und die sich freuen und die jetzt natürlich auch darauf warten, dass sie Bündnis Sahra Wagenknecht auch in Thüringen wählen können, also da ist schon ein großer Erwartungsdruck. Aber natürlich müssen wir wenn die Partei beginnt, erstmal anfangen, Landesverbände aufzubauen. Und wie gesagt, bei einer Landtagswahl muss man mit einem sehr guten Personal antreten. Wir haben da durchaus interessante Gesprächspartner schon in Thüringen, deswegen bin ich da recht zuversichtlich, aber endgültig ist das natürlich noch nicht entschieden.
Petra Kühling:
Sie sagen, Sie führen schon Gespräche. Ich brauche wahrscheinlich nicht nach Namen zu fragen, aber jetzt haben wir natürlich bei der Thüringer Linken mal nachgefragt, die selber sagt, dass sie keine Abwanderung zu ihrem Bündnis befürchtet. Wie kann denn so ein Personal dann aussehen, einfach um mal hinter die Kulissen zu gucken. Sind es dann auch andere Köpfe aus Thüringen, die vielleicht gar nicht aus der Politik kommen, oder sind es dann vielleicht auch Kandidaten aus anderen Bundesländern?
Sahra Wagenknecht:
Also ich gehe schon davon aus, dass es auch in der Thüringer Linken sowie eigentlich in der gesamten Bundesrepublik Menschen gibt, die uns unterstützen werden. Aber natürlich wird das nicht das Einzige sein. Also es gibt ja doch viele, auch außerhalb der linken Basis, die uns angesprochen haben und uns unterstützen wollen. Das ist ja auch ausdrücklich erwünscht. Wir wollen ja eine Partei sein, die sowohl von denen gewählt wird, die jetzt wirklich richtig zu kämpfen haben, die teilweise von diesem wirklich lächerlichen Mindestlohn leben müssen, von dem man nicht leben kann.
Aber wir wollen ja auch von Handwerkern, von kleinen und mittleren Unternehmen gewählt werden, weil auch die werden durch die Ampelpolitik massiv geschädigt. Viele haben auch da Existenzängste, also zum Beispiel, ob ihr Unternehmen überlebt oder wie man jetzt unter den hohen Energiekosten klarkommen kann. Insoweit freue ich mich natürlich auch, dass wir auch aus diesem Spektrum durchaus Unterstützer haben und Menschen haben, die sagen, dass das neue Projekt das ist, was wir jetzt unbedingt brauchen.
Petra Kühling:
Wie groß muss denn Ihrer Meinung nach so ein Bündnis erstmal sein oder so ein Landesverband? Wie viele Menschen braucht man, um zu sagen: So jetzt sind wir stark genug, um auch zu so einer Wahl anzutreten?
Sahra Wagenknecht:
Also wir werden, was die Mitgliedschaft angeht, langsam wachsen. Es ist ja immer ein Problem junger Parteien, dass sie zum einen, das ist das Erfreuliche, viele Menschen anziehen, die sich ehrlich engagieren wollen, aber eben auch zum Teil Menschen, die glauben, dass sie da nur eine Plattform bekommen und die dann eher destruktiv sind. Deswegen wird es bei der Vollmitgliedschaft nicht so sein, dass wir jetzt in kürzester Zeit tausende Menschen aufnehmen, auch wenn wir schon jetzt viele Anfragen durchaus bekommen.
Für jeden, der sich engagieren will, wird es natürlich eine Möglichkeit geben, um uns zu unterstützen. Gerade auch im Wahlkampf brauchen wir das ganz dringend und ich glaube, das wird sicherlich möglich sein. Wichtiger ist die Frage für den Landtagswahlantritt, ob wir eben geeignetes Personal haben, um wirklich auch eine kompetente Landtagsfraktion zusammenzustellen, die dann die verschiedenen Bereiche abdeckt. Potenziell wird es in Thüringen auch nicht nur um eine Oppositionsrolle gehen. Das wird man sehen, also wir. Wir brauchen kompetente Menschen, die auch eine gewisse administrative Erfahrung haben. Da führen wir Gespräche, aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich alles noch offen.
Petra Kühling:
Wenn wir hier mit den Menschen auf der Straße sprechen, was wir natürlich regelmäßig tun, dann hängt natürlich für alle sofort eine Frage im Kopf: Wen die Leute wählen können. Ihre Partei hat - was Umfragen angeht - sehr großen Zuspruch auch in Thüringen, aber ich höre auch, dass viele Thüringer denken, dass sie direkt Sarah Wagenknecht wählen. Ist es eine Option, dass sie als Spitzenkandidatin antreten?
Sahra Wagenknecht:
Nein. Das wäre zwar reizvoll, weil ich Thüringen wirklich sehr, sehr gerne mag, und ich bin ja gebürtige Thüringerin. Ich war immer wieder gern in Weimar, ich mag Erfurt und in Jena bin ich aufgewachsen. Also es wäre tatsächlich, sagen wir mal, für mich ganz persönlich eine schöne Vorstellung, aber das kann natürlich nicht funktionieren, weil ich muss natürlich bundesweit präsent sein. Aber ich werde auf jeden Fall natürlich im Wahlkampf in Thüringen sein und ich werde mich darum kümmern, dass alle diejenigen, die dann für uns kandidieren, wenn wir antreten, natürlich programmatisch Vorstellungen vertreten, die zumindest im Kern übereinstimmen, wofür ich auch stehe. Also wenn die Menschen Bündnis Sahra Wagenknecht wählen, dann bekommen sie auch eine Programmatik und ein Personal, das wirklich dafür steht. Also das kann ich versprechen!
Petra Kühling:
Nun haben sie eben gesagt, es muss auch nach einer Landtagswahl gar nicht bei der Oppositionsrolle bleiben. Das hieße aber ja, dass sie hier auch mit einer Persönlichkeit antreten müssten, die mit Bodo Ramelow konkurrieren kann. Der hat schließlich ja auch noch den Ministerpräsidenten Bonus.
Sahra Wagenknecht:
Also ich denke, das bespricht man dann, wenn klar ist, wie wir antreten, ob wir antreten, mit wem wir antreten und wie gesagt: Ich wünsche mir, dass wir auch dann mit der Linken natürlich zusammenarbeiten und das sind aber alles Fragen, die in Zukunft erst zu beantworten sind.
Petra Kühling:
Sie haben mehrmals gesagt, Sie wollen Menschen, die im Moment natürlich auch wegen der Ampel Politik nicht wissen, was sie wählen sollen. Sie wollen eine Alternative der Vernunft bieten, auch im Gegensatz zur AfD, die im Moment viele verzweifelte Menschen einsammelt. Wie sieht denn da genau ihre Zielgruppe aus?
Sahra Wagenknecht:
Es sind ja wirklich sehr viele Menschen. Das merke ich jetzt seit Monaten, weil ich auch angesprochen werde auf der Straße oder bei dem, was mir die Leute schreiben, die einfach nicht mehr wissen, was sie wählen sollen. Die von keiner Partei überzeugt sind, die das Gefühl haben, die Ampel und das stimmt ja auch, macht eine sehr, sehr planlose, kurzsichtige, inkompetente Politik. Die aber auch merken, die CDU ist jetzt auch keine überzeugende Alternative und die am Ende eben zu dem Schluss kommen: Wenn ich AfD wähle, dann kann ich wenigstens der Regierung signalisieren, wie unzufrieden ich bin.
Verständlich möchten wir diese Menschen, aber auch andere, die jetzt vielleicht das kleinere Übel wählen, ansprechen. Also es gibt ja durchaus auch Menschen, die wählen jetzt CDU, einfach weil sie die Ampel weghaben wollen und das nicht, weil sie Merz so überzeugend finden. Ganz viele gehen ja auch gar nicht mehr zur Wahl, also auch das ist natürlich ein Wählerpotenzial. Auch diese Menschen würde ich mich freuen, wenn wir die wieder stärker motivieren könnten, wirklich zur Wahl zu gehen und zu wählen, damit sich im Land etwas ändert.
Petra Kühling:
Zum Teil ist trotzdem auch in Umfragen klar, dass sich ein Teil der jetzigen AfD Wähler sicherlich für ihr Bündnis entscheiden würde. Bodo Ramelow hat im ZDF gesagt: Wenn Sie gegen Höcke und die AfD kandidieren wollen, dann hätten Sie auch mit ihm kandidieren können. Was sagen Sie denn dazu?
Sahra Wagenknecht:
Ja, das hat mich jetzt ein bisschen erstaunt, weil ja doch auch aus Kreisen der Thüringer Linken, jetzt nicht von Bodo Ramelow vielleicht persönlich, aber von anderen doch deutlich wurde, dass man eher findet, ich soll die Linke verlassen. Ich glaube, es sind auch Thüringer unter dem Ausschlussverfahren gewesen. Das weiß ich jetzt gar nicht genau, aber ich glaube schon. Also kommt ein wenig spät, aber wie gesagt: Es wird ja so sein, wenn wir in Thüringen antreten, werden wir sicherlich genauso wie auch die Linke im nächsten Landtag vertreten sein und ich finde, man sollte da wirklich fair miteinander umgehen.
Petra Kühling:
Das heißt, die Linke wäre ein möglicher Koalitionspartner?
Sahra Wagenknecht:
Das ist jetzt einfach viel zu früh, um jetzt mögliche Koalitionen und Optionen durchzudenken. Wir haben jetzt erstmal die Aufgabe, uns in den Ländern aufzustellen und ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, da auch eine gute Liste zusammenzustellen, sodass wir antreten können und dann muss man über alles andere nach der Wahl reden. Das ist jetzt einfach viel zu früh.
Petra Kühling:
Ich möchte jetzt einmal inhaltlich noch kurz fragen, bundespolitisch haben wir schon einiges gehört, was sich politisch ändern muss. Zum Beispiel auch die NATO in Frage stellen.
Haben sie auch konkrete landespolitische Themen, wo sie jetzt schon ganz klar sagen können, was sich in Thüringen zum Beispiel ändern muss?
Sahra Wagenknecht:
Thüringen ist ja auch ein Bundesland, das schon zu nicht geringen Teilen davon lebt, dass es eben auch Industrie-Ansiedlungen gibt. Also das ist ja in Deutschland insgesamt so, aber vor allem auch in den Ostländern, auch gerade in Thüringen. Ich meine viele Ostdeutsche haben nach der Wende erlebt, was es bedeutet, wenn die Industrie zusammenbricht. Wenn Deindustrialisierung stattfindet, dann zieht das ganze Landstriche runter und inzwischen gibt es gerade auch in Thüringen wieder einiges an Ansiedlungen. Es gab ja auch Unternehmen, die die Wende überstanden haben. Ich glaube, dass gerade in Thüringen viele Menschen sich Sorgen machen, wie stabil die Industriestruktur ist. Das ist ja ein ganz wichtiges Thema. Ein zweites Thema, gerade im Osten, sind die Löhne. Also viele Menschen im Osten arbeiten nach wie vor zu Mindestlohn. Das ist wirklich undenkbar, weil man davon nicht leben kann. Wir sagen ganz klar: 14€ Mindestlohn ist ein Muss. Das ist das mindeste, womit man irgendwie noch über den Monat kommt.
Die Frage der Renten ist auch etwas, was in Thüringen viele Menschen bewegt. Wenn man lange Jahre arbeitet und trotzdem im Alter in eine wirklich demütigende Situation gebracht wird, dass man sich viele Dinge nicht mehr leisten kann oder unterstützt werden muss von seinen Kindern. Das darf nicht sein. Das ist in anderen europäischen Ländern wesentlich besser geregelt. In Österreich hat ein Rentner im Durchschnitt 800€ mehr im Monat. All diese Dinge sind zwar jetzt nicht ganz spezifisch thüringisch, aber das sind natürlich alles Fragen, die im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen.
Zu den ganzen konkret landespolitischen Themen werden natürlich auch die Leute vor Ort, die sich bei uns dann engagieren, noch eine Reihe von Impulsen dazugeben.
Petra Kühling:
Was Löhne und Arbeitsbedingungen angeht, hätten mir linke Politiker in Thüringen jetzt vermutlich die gleiche Antwort gegeben.
Sahra Wagenknecht:
Nicht alles, was die Linke sagt, ist ja falsch, nur weil die Parteiführung jetzt einen anderen Kurs fährt. Ich habe mich ja über Jahre in der Linken engagiert, weil sie viele Themen eben auch angesprochen hat, die ich auch wichtig finde. Es ist ja nur so, dass sich in den letzten Jahren doch bundespolitisch die Linke sehr stark verändert hat. Ich glaube, Thüringen ist da auch so ein bisschen eine Ausnahme mit Bodo Ramelow, aber in der Gesamtlinie hat es eben anderer Schwerpunkte gegeben. Und wie gesagt, wenn wir da Übereinstimmungen haben, ist das ja nicht gerade schlecht.
Petra Kühling:
Nun haben einige gesagt, Sie geben der Linken gerade den Todesstoß. Was sagen Sie dazu?
Sahra Wagenknecht:
Nein, ich gebe niemanden dem Todesstoß und ich möchte auch nicht in irgendeiner Weise dazu beitragen, dass die Linke noch schwächer wird. Das Problem ist ja einfach, dass sie sich mit der Kursveränderung der letzten Jahre selbst immer mehr ins Aus gesetzt hat. Es zeigt sich ja einfach, dass es für diese politischen Schwerpunkte des jetzigen Parteivorstandes, kein ausreichendes Wählerpotenzial gibt. Das ist natürlich ein Problem. Wir sind ja in fast allen Bundesländern, Thüringen ist da eine gewisse Ausnahme, aber in allen anderen Bundesländern eben wirklich immer schwächer geworden. Wir sind in Hessen aus dem letzten westdeutschen Flächenland rausgeflogen. Wir haben auch in Ostdeutschland, also Sachsen oder auch Brandenburg, inzwischen sehr, sehr schwache Werte. Da hatte früher die Linke ein enormes Potenzial. Man hat die Leute vertrieben und das ist natürlich das Kernproblem, das sich die Linke selbst ins Aus geführt hat. Ich möchte da keinen Schaden anrichten, aber ich möchte natürlich schon für die Politik, die ich vertrete, auch streiten können, ohne dass mir ständig gesagt wird, dass ich damit gegen die Linie des Vorstands verstoße. Das war einfach nicht mehr kompatibel und deswegen musste sich das irgendwann trennen.
Petra Kühling:
Sie haben vorhin einmal gesagt, Sie kommen auch noch öfter nach Thüringen. Sie sind ja auch in Jena geboren. Wie sehr kann man noch sagen, sind Sie hier noch zu Hause. Gibt es da noch so ein Heimatgefühl?
Sahra Wagenknecht:
Ich kann sagen, immer wenn ich mal nach Thüringen komme, fühle ich mich irgendwie zu Hause. Ich meine, das vergisst man ja nicht, wo man aufgewachsen ist. Auch die Landschaft, die Menschen, die Sprache… Alles. Das kommt einem sehr, sehr vertraut vor. Beispielsweise auch Weimar. Ich habe ja als Schülerin im Goethehaus gearbeitet. Gerade weil ich eben auch die deutsche Klassik, auch Goethe, sehr gerne lese.
Ich komme gerne nach Thüringen und das ist tatsächlich so. Veranstaltungen in Thüringen mache ich mit größerer Freude als vielleicht Veranstaltung irgendwo, wo ich noch nie war und wo ich mich dann nicht ganz so heimisch fühle.