Exklusiv Interview mit dem Bürgermeister aus Sonneberg
Zum ersten Mal wird ein Landrat von der AfD gestellt - von der Thüringer AfD, die als gesichert rechtsextremistisch vom Landeserfassungsschutz eingestuft wird. Gewählt wurde er von rund 52 % der Wahlberechtigten Im Kreis Sonneberg. Robert Sesselmann ist seit Montag, den 3. Juli im Amt. Wir haben an diesem Tag mit dem Bürgermeister der Stadt Sonneberg Dr. Heiko Voigt gesprochen.
Das Interview:
AT: Herr Voigt, wie bewerten Sie die politische Lage im Landkreis Sonneberg zurzeit?
Dr. Heiko Voigt: „Also ich denke, die politische Lage sortiert sich im Moment neu. Wir haben eine Wahl hinter uns gebracht, die ein Ergebnis gebracht hat und jetzt müssen wir alle sehen, wie wir mit dem Ergebnis klarkommen und wie es in der Zukunft weiter geht.“
AT: Betrachten Sie das als politische Spaltung was da gerade geschehen ist?
Dr. Heiko Voigt: „Die politische Spaltung ist nicht nur in Sonneberg, die ist in ganz Deutschland augenfällig und Sonneberg ist der Punkt, wo alles zum Ausdruck kommt, weil in Sonneberg die erste Wahl eines AfD-landrates war.“
AT: Robert Sesselmann hat seine Wahl angenommen und das Amt des Landrats angetreten. Wie sieht eine zukünftige Zusammenarbeit zwischen der Stadt Sonneberg und dem Landrat aus?
Dr. Heiko Voigt: „Zunächst muss man wissen, dass wir eine kreisangehörige Stadt sind. Das heißt, die Stadt Sonneberg hat keine Genehmigungsbehörden und alle wichtigen Genehmigungsbehörden sitzen im Landkreis. Die Stadt Sonneberg hat das größte Gründerzeit-Ensemble in Thüringen. Das heißt, alles ist hier unter Denkmalschutz gestellt und die Denkmalschutzbehörde ist der Landrat per Gesetz. Jetzt können Sie sich schon vorstellen, dass da eine Zusammenarbeit sein muss, denn wir wollen ja in unserer Stadt weiterhin etwas machen. Wir brauchen Genehmigungen aus dem Landkreis. Die untere Naturschutzbehörde ist auch der Landrat, die untere Bauaufsichtsbehörde ist er auch. All das, was wir in den nächsten Jahren tun wollen und jetzt auch, braucht irgendeine Genehmigung, wir sind nun mal in Deutschland. Und diese Genehmigung kommt aus dem Landratsamt. Viele dieser Genehmigungen, es gibt andere, die kommen von woanders her, aber die wichtigsten, die wir fürs Leben brauchen, für die Stadtentwicklung, die kommen aus dem Landratsamt.“
AT: Nochmal zurück zum Wahlkampf. Der hat sich ja nicht mit lokalen Problemen beschäftigt, sondern mit Bundespolitik. Warum ist das so. Warum spielen lokale Themen keine Rolle bei einer Landratswahl?
Dr. Heiko Voigt: „Wenn Sie sich den Wahlkampf der vergangenen Zeit anschauen, dann hat eigentlich jeder gemerkt, dass es überhaupt nicht um lokale Probleme ging. Ganz offensichtlich ist es so, dass lokale Probleme in diesem Ausmaß nicht da sind, wie sie vielleicht auf der Ebene der Bundespolitik oder der Landespolitik wahrgenommen werden, denn ansonsten wäre es um irgendwelche Straßen oder Schulen gegangen. Das war aber definitiv nicht der Fall, also ist für die Menschen hier etwas anderes wichtig und nicht das, was hier im Moment regional passiert.
Und in der Tat ist es so. Der Landkreis Sonneberg gehört zu den wirtschaftsstärksten im Osten. Wir haben fast Vollbeschäftigung. Wir haben die höchste Frauenbeschäftigungsquote. Wir haben das, was ich eigentlich sehr gerne sage und worauf wir stolz sind, Kindergärten. Wir können jedem Kind einen Kindergartenplatz anbieten, wenn die Eltern das wollen, auch ab dem ersten Lebensjahr. Wir machen unheimlich viel für die Jugend. Wir machen sehr viel für die Vereine. Die Stadt Sonneberg hat in fast jedem Stadtteil Vereinshäuser. Die Vereinsförderung wird bei uns ganz Großgeschrieben, wir bauen jetzt im Moment gerade den letzten Bauabschnitt für unser großes Sport- und Freizeitzentrum, ein riesiges Stadion. Das ist einzigartig in Thüringen. Das bekommen wir auch so gespiegelt. Das heißt in unserer Region ist unheimlich viel passiert im Interesse der Bevölkerung, für die Bevölkerung, und das sind wir in unserer Stadt beispielgebend. Also ich kenne wenig Städte, die so eine Entwicklung hingelegt haben nach der Wende, wie die Stadt Sonneberg.
Das heißt mit anderen Worten. Lokale Probleme sind zwar da, das wäre schlimm, wenn es die nicht geben würde. Es gibt keine Region, wo es keine Probleme gibt, aber die sind scheinbar für die Bevölkerung nicht so dramatisch wie das, was aus dem Bund kommt.“
AT: Sie haben das aktive Vereinsleben in Ihrer Stadt angesprochen. Das bedeutet, die Bürgerinnen und Bürger in Sonneberg sind aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligt, bringen sich ein, oder?
Dr. Heiko Voigt: „Die Bürger bringen sich ein. Wir geben ganz bewusst Gelegenheit für die Bürger, das zu tun. Genau als die Stichwahl war, war zum Beispiel ein fünftägiges Open-Air- Musikfest. Das ist in den Medien überhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Es gibt Initiativen von der Bürgerschaft. Wir haben eine ganz aktive Innenstadt-Thematik, die wir im Moment bespielen. Unser Stadtrat bringt sich dort auch mit Themen ein, also es gibt dort sehr breite Plattformen. Das alles passiert, wird aber eigentlich gar nicht wahrgenommen. Und deswegen bin ich auch der Meinung, dass da ein Zerrbild der eigentlichen Wirklichkeit hier vor Ort gezeichnet.“
AT: Wenn man sich gerade Veranstaltungen in der Region ansieht, dann ist Sonneberg mittlerweile wieder in der fränkischen Region verankert. Tanzvereine aus dem Kronach tanzen in Sonneberg, Sonneberger Vereine sind auf Festen in Coburg. Die Region unterscheidet kaum noch in Ost und West, ist das so?
Dr. Heiko Voigt: „Also ich bezeichne unsere Stadt eigentlich als das Beispiel für eine gelungene Wiedervereinigung. Also all das, was man sich für die ganze Bundesrepublik wünscht, ist eigentlich hier schon zu einem sehr großen Teil geschehen. Die Stadt Sonneberg hatte ja früher vor der Grenzziehung einen Wirtschafts- und Sozialbereich, der auch Franken umfasst. Sonneberg ist Fränkisches Thüringen und das alles ist jetzt nach der Wende wieder zusammengewachsen. Gestern hatten wir zum Beispiel die oberfränkischen Schützen hier, wir hatten vorige Woche die Oberfranken-Foto-Show hier. Wir haben vor einigen Jahren den Tag der Franken hier gehabt. Die bayerische Staatsregierung hat auf Thüringer Gebiet den Festakt für Franken durchgeführt. Es gibt permanent immer irgendwelche Events, die übergreifend sind. Bei uns merkt keiner mehr die Grenze, die sieht man auch gar nicht und ich denke die ist auch aus den Köpfen weitgehend weg. Also das Ganze jetzt als Relikt der DDR zu bezeichnen, das ist grober Unfug.“
AT: Es gibt Sonneberger, die jetzt auch kulturelle Zeichen gegen Rechts setzen wollen. Garagenkonzerte von linken Bands wie „Feine Sahne Fischfilet“, sollen angefragt sein. Was halten Sie davon?
Dr. Heiko Voigt: „Ja, es gibt vielfältige Initiativen aus der Bürgerschaft, die in alle möglichen Richtungen gehen. Und das ist halt eine Richtung, und das ist auch gut so. Je vielfältiger die Bemühungen sind, umso breiter ist auch das gesellschaftliche oder das kommunale Leben angelegt und klar, wenn das in die richtigen Richtungen geht, wenn dort kein Extremismus verbreitet wird, sondern sich die ganze Bandbreite unserer Gesellschaft spiegelt, dann ist das doch okay.“
AT: „Die Wahl des AfD-Landrats hat auch schon Auswirkungen auf die Sonnenberger Wirtschaft gehabt. Es gab Boykott-Aufrufe zum Beispiel gegen PIKO und die Brauerei Gessner.
Dr. Heiko Voigt: „Sonneberg ist eine wirtschaftsfreundliche Verwaltung aus. Wir haben ein Qualitätssiegel von der IHK bekommen. Wir sind permanent mit unserer Industrie im Gespräch, wir versuchen an allen Stellen, die wir als Stadt Sonneberg bespielen können, auch unserer Wirtschaft zu helfen. Und das Ergebnis ist eben, dass wir eine sehr hohe Beschäftigungsquote haben und unsere Wirtschaft floriert. Wir haben im Moment überhaupt keine freien Flächen mehr für Ansiedlungen, wir machen gerade ein großes Industriegebiet, um dort wieder Platz für Neues zu schaffen, wir haben einen ziemlichen Aufschwung durch das Thema Wasserstoff. Sonneberg ist Zentrum für angewandte Wasserstoff Forschung - auch in den Dokumenten des Freistaates. Auch das brummt. Wir machen sehr viele Initiativen zur Fachkräftegewinnung, vom Kindergarten über die Grundschule, Regelschule, Gymnasien bis hin zur zum Studium, um unserer Wirtschaft, aus der Region Arbeitskräfte zu besorgen oder diese hier zu halten.
Wir bekommen mit, dass es von außen Befindlichkeiten gibt: „Was ihr seid alle rechts? Kann man mit euch überhaupt noch zusammenarbeiten?“ Und das ist natürlich etwas, was mich sehr ärgert, weil wir seit vielen Jahrzehnten versuchen, die Dinge vorwärts zu bringen, am Laufen zu halten. Die Ergebnisse haben wir ja eigentlich, und jetzt wird durch ein einziges Ereignis und durch eine aus meiner Sicht richtig schlechte Berichterstattung das alles zerstört, was viele Menschen aufgebaut haben.
Und das ist nicht in Ordnung. Und ich glaube, da muss dringend nachgeschärft werden. Es sind nicht die Menschen, die hier Falsches tun. Es ist sind die Ursachen, die dazu führen, dass Menschen vermeintlich falsch tun.“
AT: Wo Sie die Berichterstattung ansprechen, die Sie für unausgewogen halten. Was hat Ihnen gefehlt? Was ist falsch gelaufen bei der Berichterstattung vor der Stichwahl am 25.06.2023?
Dr. Heiko Voigt: „Ich würde mir wünschen, dass Berichterstattung neutral und ausgewogen ist. Und genau das war in den letzten Tagen überhaupt nicht der Fall. Es wurde am Vormittag bei uns gedreht. Am Vormittag arbeiten bei uns die Menschen, weil wir hohe Beschäftigungsquote haben. Es wurden gezielt nicht typische Menschen herausgesucht, mit Meinungen, die auch nicht typisch sind. Aber das wurde alles stellvertretend für die Bevölkerung des Landkreises hingestellt, es hat aus meiner Sicht wirklich einen Wettbewerb der schlechten Berichterstattung gegeben.
Ganz vorne dran war der Spiegel, also dieser Film, der da in Youtube gezeigt wurde, ist eigentlich für mich ein Beispiel, wie Journalismus überhaupt nicht sein darf.
Journalismus muss offen über Probleme berichten. Dazu ist er da, der freie Journalismus allemal. Der muss aber die Facetten der Wirklichkeit irgendwo abbilden und nicht nur in eine Richtung ziehen. Wenn Journalismus in eine Richtung zielt, dann haben wir den Staatsjournalismus. Wie wir ihn aus Russland und anderen Ländern kennen, und genau das ist, glaube ich, nicht das, was wir für uns hier in Deutschland brauchen.“
AT: Sind also die Journalisten schuld am Wahlausgang?
Dr. Heiko Voigt: „Definitiv kann man nicht alles den Medien zuschreiben. Wir haben eine demokratische Wahl gehabt. Die Bürger haben in einer demokratischen Wahl immer die Möglichkeit, zwischen den Angeboten der einzelnen politischen Parteien zu wählen. Und ganz offensichtlich ist es so, dass die Angebote der etablierten politischen Parteien nicht den Willen der Wähler getroffen haben. Die Aufgabe ist es, für diese Parteien zu gucken, dass ihre Angebote wieder mehrheitsfähig sind, dass die Bürger sagen, „das sind unsere Parteien, die wir wählen wollen und nicht andere“.
Das ist ganz klar ein Versäumnis der Bundespolitik und zum Teil auch der Landespolitik. Aber hier ist eher die Bundespolitik abgestraft worden und das jetzt alles in Form einer Wählerbeschimpfung und eines Bashings der Wähler zu interpretieren und zu sagen, „Wir haben alles richtig gemacht. Das sind die Menschen, die uns falsch beurteilen“. Ich glaub das wird keiner denken und jetzt kommt es eben darauf an, dass das Zerrbild, was von Sonneberg, vom Landkreis Sonneberg in der Welt steht, wieder zu richten und zu sagen, „Nein, es ist definitiv nicht so, dass das der braunste Ort in Deutschland ist. Nein, das ist einer der aufstrebenden Kleinstädte in Deutschland, die die Wiedervereinigung mitgemacht haben. Die den Wandel dreifach erlebt haben, den Niedergang der Industrie und jedes Mal wieder die Kraft gefunden haben, um sich nach vorne zu pushen. Und das sieht man ganz deutlich, wenn man die Augen aufmacht.
Das ist eigentlich die Aufgabe, das rüberzubringen. Jetzt muss einfach gesehen werden, wie mit dem Ergebnis umgegangen wird. Wir können jetzt nicht 5 Jahre warten, bis irgendwas anderes passiert oder vielleicht das gleiche und in der Zwischenzeit den Kopf in den Sand stecken und uns gegenseitig beschimpfen, sondern wir müssen sehen, dass wir den Weg vorangehen und die Stadt, die Region, aber auch das Land weiterentwickeln.“
AT: Wenn aber die lokalen Wahlen jetzt über bundespolitische Themen geführt werden, kommt bei der Bundespolitik eigentlich an, wie weit die Probleme und die Themen, die die Menschen vor Ort beschäftigen auseinanderklaffen?
Dr. Heiko Voigt: „Definitiv ist es so, dass aus unserer Sicht, aus der Sicht vieler, die hier leben, der Kontakt zwischen der großen Politik und der Bevölkerung komplett verloren gegangen ist. Also wenn man in der Berliner Blase sitzt, in seiner Großstadt die Themen einer Großstadt bearbeitet und dann solche Äußerungen von sich gibt, dann merkt man definitiv hier bei uns, dass niemand etwas verstanden hat, dass also der Kontakt zur Wirklichkeit im ländlichen Raum komplett verloren gegangen ist.
Und ein Thema, was die Leute hier bei uns sehr aufgeregt hat, das ist das Heizungsthema. Wenn man in einer ländlichen Region lebt, wo die meisten Menschen in ihren eigenen Häusern wohnen, die sie sich erspart, erarbeitet haben. Vielleicht sind die Kredite noch nicht bezahlt. Aber jetzt kommt man in ein Alter, wo man das, was man aufgebaut hat, genießen möchte, wenn man dann erfährt, man muss investieren. Geld, das man nicht hat, in eine Richtung zu investieren, von der man nicht weiß, wohin sie führt, dann führt das schon zu Verdruss.
Das ist auch ein Problem der Kommunikation. Das jetzt Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel notwendig sind, das wird keiner bestreiten. Aber diese Maßnahmen müssen nachvollziehbar sein. Die müssen verifizierbar für den Einzelnen sein. Das heißt, es wird in der Großstadt Berlin andere Maßnahmen geben müssen als auf dem flachen Land, wo eine sehr geringe Siedlungsdichte ist, wo die Leute mit ihren Autos fahren müssen, wenn sie nicht zu Hause versauern wollen. Wenn kleine Häuser da sind, die zum Teil auch älteren Datums sind, in die jetzt wieder investiert werden soll, Geld was nicht vorhanden ist. Da muss anders darauf reagiert und anders kommuniziert werden und genau das ist nicht der Fall gewesen.“
AT: Am Ende noch ein Ausblick. Wie können Bundespolitik und Regionalpolitik wieder zusammenfinden?
Dr. Heiko Voigt: „Der Landkreis Sonneberg ist derjenige, der zuerst gewählt hat. Die Umfrageergebnisse sind in ganz Thüringen vergleichbar und in Sachsen noch anders als in Thüringen. Das heißt, wenn dort Wahlen sind und sich insgesamt an der Situation nichts ändert, sind ähnliche Ergebnisse nicht auszuschließen.
Deswegen lade ich alle Politiker der großen Politik ein sich wirklich mal aufs Land zu begeben, mit Leuten zu reden, offen zu reden, ohne irgendwelche Filter vorgehalten zu bekommen von irgendwelchen ideologischen Begleitern. Die dafür da sind, dass der Minister ja das Richtige erfährt. Ich lade vor allem auch die Medien ein, die im Moment noch vom Schreibtisch und mithilfe von Wikipedia über Dinge berichtet haben, die sie live gar nicht miterlebt haben. Kommen Sie einfach mal her und schauen Sie, was hier in einer Region, in einer ländlichen Region passiert.
Wie fortschrittlich vieles ist, wie beispielgebend vieles ist. Und dort kann man, was den Inhalt betrifft, sehr viel für andere kleine Städte in unserer Größenordnung entnehmen. Und darüber sollte man berichten, um auch ein positives Bild und ein positives Beispiel zu geben.“