Ermittler moniert Qualität der Staatskanzlei-Kameras
Bei der Aufklärung des Angriffs auf eine Gruppe junger Menschen vor der Thüringer Staatskanzlei im Sommer 2020 hat die Qualität der vorhandenen Videoaufnahmen die Arbeit der Polizei nach Einschätzung eines Beamten erschwert. Die Aufnahmen der Überwachungskameras der Regierungszentrale hätten es beispielsweise nicht zugelassen, die Gesichter der Tatverdächtigen eindeutig zu erkennen, sagte ein Polizist am Dienstag vor dem Landgericht Erfurt. «Nur rein mit den Aufnahmen: Wir hätten da niemanden erkennen können.»
Um nachverfolgen zu können, welcher Angreifer in der Tatnacht wie gehandelt habe, habe er sich deshalb unter anderem an deren Kleidung orientiert. Alles in allem seien die Aufnahmen «qualitativ nicht maximal verwertbar» gewesen, sagte der Polizist. «Wir mussten mit dem leben, was uns gegeben wurde.» Die Aufnahmen seien teilweise «so milchig» gewesen, «dass wir da nicht mehr viel retten konnten».
Der Mann war nach eigenen Angaben federführend für die Auswertung der Videos verantwortlich, die von dem Übergriff existieren. Er versah seinen Dienst damals bei der Bereitschaftspolizei, die vom Landeskriminalamt zur Unterstützung der Auswertung herangezogen worden war. Die Mehrzahl der Videos stammt von Überwachungskameras der Staatskanzlei. Zudem existiert ein Handyvideo von dem Angriff. Bei der Vorführung der Aufnahmen im Gerichtssaal zeigte sich, dass das Handyvideo eine deutlich höhere Qualität hat als die Videos der Überwachungskamera der Staatskanzlei.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat in dem Verfahren fünf Männer im Alter zwischen 24 und 32 Jahren angeklagt. Sie wirft ihnen vor, sich vor etwa zweieinhalb Jahren am Überfall auf zahlreiche junge Menschen im Hirschgarten beteiligt zu haben. Der Hirschgarten ist eine Grünanlage und liegt unmittelbar vor der Thüringer Staatskanzlei. Alle Angeklagten haben vor Gericht inzwischen eingeräumt, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein.
An der Auswertung der Videoaufnahmen waren mehrere Polizisten beteiligt. Sie haben die Videos unter anderem so bearbeitet, dass sie über den mutmaßlichen Angreifern rote Pfeile eingefügt haben. Diese Pfeile bewegen sich mit den mutmaßlichen Angreifern mit, sodass es zumindest phasenweise möglich wird zu verfolgen, wer sich wann wo aufgehalten und wen geschlagen oder getreten hat.
Teilweise seien die Aufnahmen aber aus einer so großen Entfernung aufgenommen worden oder von einer so schlechten Qualität, dass sich selbst durch Vergrößerungen nicht zuordnen lasse, was ein mutmaßlicher Angreifer zu einer bestimmten Zeit getan habe, sagte der Polizist. In solchen Situationen hätten er und seine Kollegen bewusst auf Markierungen verzichtet. «Sie sehen ja, wie verpixelt die Aufnahme ist, da können selbst wir nichts mehr verbessern», sagte der Polizist zu einer Aufnahme während seiner Aussage.
Auch die technische Ausstattung der Polizei ist nach Einschätzung des Polizisten für die Auswertung der Videos nicht optimal gewesen. Das Einfügen der roten Pfeile in die Videos hätten er und seine Kollegen nicht nur einmal händisch machen müssen – sondern immer wieder. «Die bleiben nicht an der Person dran», sagte der Polizist. Zwar gebe es technisch die Möglichkeit, dass Computerprogramme Markierungen an Personen in Videos dauerhaft anhefteten. «Aber die haben wir nicht.» Deshalb sei es sehr aufwendig gewesen, die Markierungen in den Videos vorzunehmen.
Der Prozess vor dem Landgericht ist bereits das dritte Gerichtsverfahren, das wegen des Überfalls vor der Staatskanzlei stattfindet. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft sind dabei die mutmaßlichen Rädelsführer des Angriffs angeklagt. Zuletzt waren wegen des Überfalls bereits zwei Prozesse vor dem Amtsgericht Erfurt gegen insgesamt neun Angeklagte geführt worden. Die meisten von ihnen sind inzwischen rechtskräftig wegen ihrer Beteiligung an dem Übergriff verurteilt worden.
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