Deutlicher Anstieg politischer Straftaten im Jahr 2021
Die Zahl politisch motivierter Straftaten ist in Thüringen wieder deutlich gestiegen - nach einem Rückgang im Jahr 2020. Die Behörden registrierten 2021 insgesamt 2770 solcher Delikte, was einer Zunahme um etwa ein Drittel entspricht. Als wesentliche Gründe nannte Innenminister Georg Maier (SPD) am Montag in Erfurt bei der Präsentation des Jahresberichts die Wahlkämpfe und Corona-Proteste. Die verringerte Aufklärungsquote von nun noch 42,1 Prozent habe ihre Ursache ebenfalls in den Besonderheiten des Wahljahres. Nicht bei jedem zerstörten Wahlplakat lasse sich der Verursacher ermitteln.
Laut Statistik wurde mehr als die Hälfte der politisch motivierten Straftaten trotz eines leichten Rückgangs zum Vorjahr weiter dem rechten Spektrum zugeordnet. Die Behörden verzeichneten 1280 solcher Fälle. Einen leichten Zuwachs gab es bei Straftaten aus dem linken Spektrum - von 437 im Jahr 2020 auf 443 im vergangenen Jahr. «Diese Zahlen machen deutlich: Unsere Demokratie ist unter Druck. Sie ist unter Druck durch politischen Extremismus - insbesondere durch den Rechtsextremismus», sagte Maier. Die Gefahr komme «weiter ganz klar von rechts».
«Die Menschen, die einen anderen Staat haben wollen, die oftmals eine autoritäre Staatsform bevorzugen, sind zahlreicher geworden.» Das Thema habe das Demonstrationsgeschehen im Rahmen der Corona-Pandemie bestimmt, sagte der Innenminister. Die meisten Delikte in diesem Kontext seien aber nicht klar zu bestimmen.
«Wir haben jetzt auch Kriminalität in einem Bereich, wo man nicht weiß, wie sie konkret zuzuordnen ist», sagte der Präsident des Landeskriminalamtes, Jens Kehr. Während im Jahr 2020 noch acht Gewaltfälle in diesem Bereich dokumentiert wurden, wurden im vergangenen Jahr insgesamt 103 nicht zuzuordnende Delikte gezählt. «Das ist eine Steigerung von über 1000 Prozent. Diese Zahl hat mich zugegebenermaßen überrascht», sagte Kehr.
Auch bei den 457 festgestellten Delikten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie habe es einen akuten Zuwachs gegeben. «Das sind nahezu vier Mal so viele wie im Vorjahr», sagte Kehr. 2020 waren 122 sogenannte Corona-Straftaten erfasst worden. Zunehmend beschäftigen auch Straftaten die Ermittlungsbehörden, die sich gegen Amts- und Mandatsträger richteten, konstatierte der LKA-Präsident.
Unter den nicht zuzuordnenden Straftaten «dürften insbesondere auch Corona-Leugner, Reichsbürger und Querdenker erfasst sein», sagte der innenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Thüringer Landtag, Sascha Bilay. Die Statistik sei an die Grenzen ihrer Aussagekraft geraten. «Wir brauchen dringend eine Reform, um politisch motivierte Kriminalität deutlicher nach Motivation und Ursachen darstellen zu können.» Die innenpolitischen Sprecher und Sprecherinnen der Linken, der Grünen, der SPD und der FDP waren sich einig, dass das Hauptproblem in Thüringen vom Rechtsextremismus ausgeht, der bekämpft werden müsse.
Der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion Thüringen, Ringo Mühlmann, äußerte Zweifel an den vorgelegten Zahlen. «Die Gleichsetzung der Propagandadelikte verzerrt die Statistik, die fast ausschließlich Propagandamittel der rechten Szene kennt.» Die Erkenntnis, dass die Demokratie unter Druck gerate und der Rechtsstaat abgelehnt werde, sei «hausgemacht», sagte Mühlmann.
Maier erwartete, dass die Zahlen politisch motivierter Straftaten 2022 wieder zurückgehen werden. «Aber auch, wenn sie jetzt sinkt: Wir haben echt ein Problem. Es äußert sich immer mehr durch Straftaten, durch Gewalt», sagte Maier. Es müssten vor allem die Menschen zurückgeholt werden, die den Glauben an die Demokratie verloren hätten. Und es müssten Extremisten bekämpft werden - «dann kommen wir auch weiter», sagte Maier.
Mit Corona und neuerdings auch mit dem Krieg in der Ukraine wie auch den gestiegenen Energiepreisen gebe es neue Motivlagen, die Extremisten zur Mobilisierung der Massen nutzten. Daraus resultierende zunehmende rechtsextreme Tendenzen, die für Thüringen ein besonders großes Problem seien, gelte es, zu stoppen. «Rechten Akteuren und Netzwerken müssen wir - noch stärker als bisher - die finanziellen Mittel nehmen», sagte Maier.
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