Antisemitismus an Schulen: Wagner für Strafanzeigen
Schülerinnen und Schüler, die sich antisemitisch oder volksverhetzend verhalten, sollten nach Ansicht des Buchenwald-Gedenkstättenleiters Jens-Christian Wagner strafrechtliche Konsequenzen spüren. Es komme auch in den Gedenkstätten immer mal wieder vor, dass Schüler den Hitlergruß zeigten oder sich antisemitisch äußerten, sagte Wagner der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. «Da haben wir eine sehr, sehr klare Linie: Das ist kein «dummer Jugendstreich», sondern wir erstatten dann prinzipiell Anzeige.»
Seiner Meinung nach hätte auch die Schule im Fall Aiwanger so reagieren müssen. Der bayerische Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) steht seit Tagen wegen eines antisemitischen Flugblatts aus seiner Schulzeit unter Druck. Aiwanger bestreitet, das Flugblatt als Schüler verfasst zu haben. Stattdessen soll sein Bruder der Urheber sein. Der Freie-Wähler-Chef räumte aber ein, es seien «ein oder wenige Exemplare» in seiner Schultasche gefunden worden. Er habe dann ein Referat halten müssen.
Eine solche Sanktion hält Wagner für falsch. Wenn die Täterschaft geklärt sei, sei ein Schulverweis «zwingend erforderlich», findet der Historiker. Es gehöre dann genauso zum Rechtsstaat, dass jeder eine zweite Chance verdiene. Dazu sei aber auch Reflexion nötig - und ein offener Umgang mit den begangenen Fehlern.
Wagner sagte, dass Lehrer in einem solchen Fall dem Jugendlichen auch helfen müssten, zu begreifen, was es bedeutet habe, «in ein Konzentrationslager gesteckt zu werden, durch den Schornstein von Auschwitz zu gehen, wie in diesem Papier geschrieben wurde». Das Flugblatt zeige, dass es nicht an historischem Wissen mangelte. «Aber es ist keine historische Einsicht da.»
Antisemitische Vorfälle in der Gedenkstätte Buchenwald von Schülerinnen und Schülern können laut Wagner ganz unterschiedlich sein. «Manchmal sind es dezidiert im rechtsextremen Milieu fest verankerte Jugendliche», sagte Wagner. Manchmal gehe es um Provokation. «Manchmal ist es auch die mangelnde Fähigkeit mit einer emotional und kognitiv belastenden Situation umzugehen», erklärte er mit Blick auf unpassendes Verhalten von manchen Jugendlichen.
An Thüringer Schulen wurden im laufenden Jahr bisher vier sogenannte besondere Vorkommnisse der Kategorie Antisemitismus gemeldet. Im Jahr 2022 waren es fünf, seit dem Jahr 2018 wurden 24 solle Vorfälle erfasst.
«Antisemitismus bleibt ein gesellschaftliches Phänomen und Problem, dem Schulen und alle Pädagoginnen und Pädagogen hohe Aufmerksamkeit widmen müssen», sagte Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke). Jeder müsse wissen, warum die Bekämpfung von Antisemitismus deutsche Staatsräson sei. «Ebenso wichtig aber ist, dass sich jeder und jede auch im Alltag des Problems und der unterschiedlichen Ausprägungen von Antisemitismus bewusst sind und aufstehen und Stellung dagegen beziehen, wenn sie damit konfrontiert werden.»
Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Thüringen (Rias Thüringen) hat nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr zwei antisemitische Vorfälle an Schulen registriert, im Jahr 2021 waren es neun. Rias-Mitarbeiterin Lisa Jacobs sagte, es sei wichtig, Jugendlichen Beratung zu bieten. «Das würde ich Schulen raten - sich externe Beratung zu holen.» Bei Jugendlichen sei das Weltbild oft noch nicht gefestigt, teils könne man ihnen über einen emotionalen Zugang deutlich machen, wie «Antisemitismus als menschenverachtende Ideologie funktioniert», sagte sie.
© dpa-infocom, dpa:230901-99-34570/2