Opferberater sehen rechte Gewalt auf hohem Niveau
Der Landkreis Sonneberg ist aus Sicht der Betroffenenberatungsstelle ezra zu einem neuen Schwerpunkt rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Thüringen geworden. Begleitet von Schilderungen eines Opfers stellten die Berater von ezra am Mittwoch in Erfurt ihre Jahresstatistik für das vergangenen Jahr vor.
Ezra-Beraterin Theresa Lauß sagte, im Kreis Sonneberg seien im Jahr 2023 insgesamt 20 rechtsmotivierte Angriffe verzeichnet worden. Nur in Erfurt hätten die Berater mit 33 derartigen Übergriffen noch mehr Fälle registriert. Nach Einschätzung des ezra-Projektkoordinators Franz Zobel hat diese Entwicklung im Süden Thüringens maßgeblich damit zu tun, dass in Sonneberg im vergangenen Jahr das erste Mal bundesweit ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt wurde.
Die Opferschutzorganisation ist auf die Beratung von Menschen spezialisiert, die aus rechtsextremen Motiven heraus angegriffen wurden. Getragen wird sie von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
Ein in Sonneberg lebender Gastronom sagte, seit der Landratswahl 2023 würden dort Dinge öffentlich gesagt, die die Menschen dort zuvor zwar bereits gedacht, aber zum Beispiel nur in ihren Garagen oder auf privaten Feiern gesagt hätten. So komme es inzwischen vor, dass Menschen beim Biertrinken mit Nazi-Parolen anstoßen würden. Der Mann ist auch innerhalb der Sonneberger Zivilgesellschaft aktiv.
Auffällig sei auch, wie viele Händler in Sonneberg Fanartikel verbotener rechtsextremer Bands ganz offen verkaufen könnten, sagte der Gastronom. Nicht einmal die in der Stadt eingesetzten Polizeibeamten würden sich mehr daran stören. «Die AfD ist in Sonneberg nicht rechts, die AfD ist die sehr breite Mitte in Sonneberg», sagte der Gastronom.
Bei der Landratswahl 2023 hatte der AfD-Bewerber Robert Sesselmann in der Stichwahl bei einer verhältnismäßig hohen Wahlbeteiligung von fast 60 Prozent eine Zustimmung von etwa 53 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Die AfD wird in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Insgesamt liegt die Zahl der von ezra für das vergangene Jahr erfassten rechtsmotivierten Angriffe auf einem weiterhin hohen Niveau. Landesweit registrierten die Berater 147 derartige Übergriffe, im Jahr zuvor waren es 192 gewesen, im Jahr 2021 noch 124. Von den Angriffen im vergangenen Jahr seien mindestens 291 Menschen direkt betroffenen gewesen. In der Mehrzahl der Fälle ging es um Bedrohungen, Nötigungen und Körperverletzungen.
In ihre Statistik beziehen die Berater sowohl Fälle ein, in denen sich die Betroffenen selbst an ezra gewandt haben, als auch solche Fälle, über die zum Beispiel in den Medien berichtet wurde. Nach Einschätzung von ezra selbst bilden die Zahlen der Organisation aber nur «die Spitze des Eisbergs» ab. Sie liegen dennoch seit Jahren über den Zahlen, die von der Polizei als rechtsmotivierte Angriffe gezählt werden.
© dpa-infocom, dpa:240410-99-624263/3