Irina Scherbakowa sitzt bei einer Pressekonferenz in der Friedrich Schiller Universität., © Bodo Schackow/dpa
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Friedensnobelpreis für Memorial erntet viel Zustimmung

07.10.2022

Die Memorial-Mitgründerin Irina Scherbakowa sieht im diesjährigen Friedensnobelpreis ein wichtiges Signal für die Menschen in Russland, die dem Putin-Regime und seinem Ukraine-Krieg kritisch gegenüberstehen. Die Entscheidung des Nobelkomitees sei für viele von ihnen ein freudiges Ereignis, sagte Scherbakowa am Freitagabend in Jena, wo sie derzeit Gastprofessorin ist. Viele Menschen in Russland seien verängstigt wegen massiver Repressionen und der Polizeigewalt. Aber es werde eine Zeit nach Präsident Putin geben, betonte Scherbakowa. «Ich hoffe sehr, dass Russland irgendwann aus dieser moralischen, politischen Katastrophe einen Weg findet in die Demokratie und Freiheit.»

Die Menschenrechtsorganisation wurde vergangenes Jahr auf Anweisung der russischen Behörden aufgelöst, weil sie gegen Gesetze verstoßen haben soll. Die Organisation setzte sich für politisch Verfolgte und Gefangene ein. Und sie klärte über Verbrechen der kommunistischen Gewaltherrschaft auf. Neben Memorial wurde der Friedensnobelpreis 2022 am Freitag dem inhaftierten belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki und dem ukrainischen Center for Civil Liberties zugesprochen.

Die Historikerin und Germanistin Scherbakowa lebt inzwischen in Thüringen im Exil. «Sie haben gezeigt, wie der Mut von Wenigen einen Einfluss auf die ganze Welt haben kann», lobte der Präsident der Universität Jena, Walter Rosenthal. «Danke für Ihren Mut und Ihr Durchhaltevermögen.»

Die Welt brauche das Wirken von Memorial als wichtiges Symbol für das demokratische Russland, konstatierte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). In einem Schreiben an Scherbakowa erklärte er: «Mit einem unbeschreiblichen Engagement haben Sie sich in den vergangenen Jahrzehnten für die von Ihnen mitgegründete Organisation, für die Menschenrechte in Russland und die Opfer des Stalinismus eingesetzt.»

Er bedaure sehr, dass Memorial in den vergangenen Jahren Repressionen ausgesetzt und schließlich in Russland verboten worden sei, betonte Ramelow. «Ich hoffe sehr, dass Ihnen unsere Universität in Jena, wenngleich Ort des Exils, die Ruhe und den Raum gibt, um an Dingen, die Ihnen persönlich wichtig sind, weiterarbeiten zu können.»

Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach in Projekten mit Memorial kooperiert, etwa zur Erforschung der Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nummer 2 in Buchenwald. Die Organisation sei weltweit eines der besten Beispiele für eine gelungene historische Aufarbeitung von vergangenem Unrecht verschiedener politischer Systeme, erklärte Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner. Ihre aufgebauten Archive und Sammlungen ließen verstehen, wie das sowjetische Unrechtssystem funktioniert habe. Der Nobelpreis würdige das mutige und engagierte Eintreten für eine humane, offene und friedliche Gesellschaft, die sich ihrer Geschichte bewusst ist.

Scherbakowa wies darauf hin, dass die Behörden in Russland weiter gegen ihre Organisation vorgehen. Konkret gehe es um die Enteignung von Räumlichkeiten, die als Erinnerungszentrum genutzt wurden. Sie lobte die große Solidarität, die sie und ihre Mitstreiter nach dem Verbot aus Deutschland erfahren haben. Auch in Russland selbst sei die Arbeit in den vergangenen Jahren auf breite Unterstützung in der Bevölkerung gestoßen - gerade bei jungen Menschen.

Nach ihrer Einschätzung ist in den vergangenen Monaten die Wahrnehmung des Ukraine-Krieges bei vielen Menschen in Russland realistischer geworden. Sie warb dafür, Kriegsdienstverweigerern zu helfen und ihnen Zuflucht zu gewähren. «Jeder Mensch, der vor diesem Krieg flüchtet, ist ein Soldat weniger in der Ukraine.»

© dpa-infocom, dpa:221007-99-46981/4

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