Eisenbahntheater widmet sich Geschichten von DDR-Flüchtigen
Erst flüchteten sie in die westdeutsche Botschaft in Prag, dann per Zug über die innerdeutsche Grenze: Den Erlebnissen von DDR-Bürgern, die im Frühherbst 1989 ihr Land verließen, widmet sich ein Theaterprojekt, das bald an Originalschauplätzen zu erleben ist. Die Eisenbahn-Theatergruppe «Das Letzte Kleinod» aus Niedersachsen will ab Ende Juni mit ihrem Zug mit elf Waggons an den Güterbahnhöfen im fränkischen Hof, in Plauen im Vogtland und in Dresden Halt machen. Am 28. Juni feiert «Über den Zaun - Theater über die Flucht in den Westen» Premiere.
Das Ensemble aus 16 Leuten will bei den Vorstellungen «vor, neben und in dem 120 Meter langen Zug» ungefilterte Erlebnisse von Zeitzeugen «auf eine ungewöhnliche Theaterbühne bringen», erklärte Projektleiterin Juliane Lenssen bei der Vorstellung am Donnerstag. Dazu seien rund 25 Interviews mit ehemaligen DDR-Flüchtlingen geführt worden, die 1989 teilweise über Wochen in Prag auf dem Botschaftsgelände kampiert hatten.
«Wie sie damals über den Botschaftszaun geklettert sind, hat sich in die Erinnerung vieler eingebrannt. Ebenso die chaotischen Zustände auf den Bahnhöfen, als die Sonderzüge danach noch einmal über das Staatsgebiet der DDR fuhren», erläuterte Lenssen. Über Dresden und Plauen kamen die Menschen schließlich in Hof in Bayern an. «Deshalb haben wir uns für diese Spielorte entschieden.»
Die Erlebnisse einer jungen Frau, die 1989 schwanger über den Zaun der Prager Botschaft geklettert ist, habe sie besonders berührt, ergänzt Lenssen, die «Das Letzte Kleinod» 1991 zusammen mit Jens-Erwin Siemssen gründete. Er hat für das aktuelle Theaterprojekt Buch und Regie übernommen. «Wir stellen ungefilterte Fluchterfahrungen dar, jenseits perfekter Grammatik oder geschichtlicher Fakten», so Lenssen. Eine Vorpremiere von «Über den Zaun» wird es bereits am Bahnhof Stützerbach in Thüringen geben (24. und 25. Juni). Dort werde das Stück mit Teilnehmern eines deutsch-tschechischen Jugendprojekts kombiniert.
In den letzten Tagen des DDR-Regimes hielten sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes bis zu 4000 Menschen gleichzeitig auf dem Botschaftsgelände auf, um ihre Ausreise zu erzwingen. Ab dem 30. September 1989 lenkte die DDR-Führung ein und wurde die Ausreise in die Bundesrepublik erlaubt. Die Theatergruppe «Das Letzte Kleinod» möchte Erlebnisse von Zeitzeugen aus den ersten drei Zügen künstlerisch darstellen, sagte Lenssen.
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